Uschi Zietsch
Lordmeister.« Er schaute sich um, setzte eine Verschwörermiene auf und flüsterte Kelric dann vertraulich zu: »Er kommt ja wie ich aus Lindala, und nicht nur ein Gerücht sagt, dass er der Sohn des alten Königs Lindhelm sei, sein Zweitgeborener. Er kam mit vierzehn Jahren nach Laïre, ohne je zu verraten, woher er genau stammte, und jetzt ist er bereits seit zwei Jahren ein Zauberer, obwohl er erst zweiundzwanzig ist. Er lernte in sechs Jahren Tag und Nacht das, wozu wir zwölf Jahre brauchen. Er ist eine Ausnahme seit Jahrhunderten. Man munkelt, dass er der nächste Lordmeister werden soll, aber er will es sicher nicht. Er flieht alle hohen Ämter. Er sucht auf seinen Wanderungen ein unbekanntes Ziel und weiß Dinge, die niemand je sieht.«
Kelric dachte an Hungerland und schwieg.
»Aber er wird wiederkommen«, tröstete Fandor ihn weiter. »Irgendwann wird seine Sehnsucht nach Laïre so groß, dass er eines Tages wieder da ist, als wäre er nie fortgewesen. Du wirst sehen. Und jetzt gehen wir essen. Du hast bestimmt Hunger, oder? Dann können wir weiterreden.«
Melwin saß unterdessen still beim Lordmeister, der ihn zu sich gerufen hatte. »Melwin«, begann Marbon ruhig, »ich fragte nie nach Eurer Herkunft. Alles an Euch ist geheimnisvoll, und ich weiß nicht, welche göttliche Eingebung mir vor acht Jahren befahl, Euch gewähren zu lassen. Wollt Ihr mir nicht endlich die Wahrheit sagen?«
Melwin sah gequält zu ihm auf. »Herr«, bat er, »zwingt mich nicht! Ich darf nicht sprechen.«
»Ihr tragt eine schwerere Last als wir«, sagte Marbon leise. »Was habt Ihr gesehen, Melwin? Was wisst Ihr nur?«
Melwin schüttelte das Haupt. »Ich bitte Euch, habt Vertrauen!«, erwiderte er. »Alles was ich tue, geschieht für Laïre. Ich habe von Gott einen Auftrag erhalten, den ich ausführen muss. Dafür muss ich falsche Gerüchte und Euer Misstrauen in Kauf nehmen. Ich verehre Euch, Herr. Ich bitte um Euren Segen, wenn ich morgen gehe.«
»Den habt Ihr immer. Vielleicht seid Ihr wirklich der Gottgesandte, aufgewachsen in Reichtum auf einem Schloss, um die Armut begreifen zu lernen. Melwin bedeutet nicht umsonst Der-von-Gott-Geliebte , und Elwin ist mit Euch. Geht in Frieden und kehrt gesund wieder!«
8.
Umriss der Geschichte von Lerranee
Fandor weckte Kelric am zweiten Morgen zu ungewohnter Stunde; er verzehrte lustlos das reichhaltige Frühstück, war aber Fandor für seine freundschaftlichen Bemühungen dankbar und wurde richtig fröhlich, als Fergon ihn aufsuchte. Sie unterhielten sich angeregt auf dem Weg zum Einführungsraum; hier verabschiedete Fergon sich freundlich und wünschte Kelric alles Gute. Fünf andere Jungen gleichen Alters saßen bereits auf den schmalen Stühlen, ein wenig blass und sicherlich nicht weniger nervös als Kelric. Der Raum selbst war wohl der kleinste der ganzen Schule und bereitete in seiner typischen schulmeisterlichen Nüchternheit auf die anderen Klassenzimmer vor. Kelric konnte sich nicht vorstellen, viele Stunden ruhig an einem Platz sitzen zu müssen und dem Lehrer aufmerksam zuzuhören. Nach einigem Zögern stellte er sich vor und setzte sich dann neben einen kleinen dicken Jungen, der Tarmin hieß und unterbrochen kandierte Früchte in sich hineinstopfte.
»Glaubsch du, ich kann die nachher mit insch Schimmer nehmen?«, nuschelte er mit vollem Mund.
Kelric stiebitzte sich eine Kirsche und erwiderte kauend: »Ich glaube nicht. Fandor sagt, dass sie streng Disziplin wahren. Lass es also lieber bleiben.«
Tarmin betrachtete unglücklich seinen halbvollen Beutel, steckte ihn dann seufzend unter die Bank und versuchte, den klebrigen Mund und die verpappten Finger sauber zu bekommen. Die anderen Jungen lachten ihre Nervosität hinaus; Kelric sah, dass sie alle die gleichen dunklen Kittel trugen, und entschloss sich Fandor zu fragen, bei wem man die Kleidung erhielt.
Schließlich kam ein Lehrer, der noch recht jung war und fröhlich aussah; er stellte sich als Herr Celion vor und bat die Jungen um ihren Namen und einen kurzen Lebenslauf. Als die Reihe an Kelric war, lächelte der Zauberer: »Ah, Kelric, von dir spricht bereits die ganze Schule. Ich denke, du erzählst uns deine Geschichte in der Pause nach dem Mittagessen, denn keiner will sie versäumen. Wir wollen uns erst einmal der Zukunft zuwenden.« Er lehnte sich halb an seinen Tisch und faltete die Hände. »Meine jungen Freunde, ihr seht einer harten, aber sehr schönen Zeit entgegen. Zunächst werdet ihr fünf
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