Uschi Zietsch
Elwin mir wohlgesonnen bleibt.« Er wandte sich wieder Kelric zu. »Du bist ein wenig spät im Jahr gekommen, aber es sind noch fünf Neuankömmlinge seit vorgestern hier. Da morgen der Ruhende Tag ist, an dem wir nicht arbeiten, hast du genügend Zeit, dich hier umzusehen und bekannt zu machen. Übermorgen wirst du dann im Hauptgebäude an einer Einführung teilnehmen; und dann werden wir weitersehen.«
Kelric sah sich unruhig nach Melwin um, der neben ihn trat; ein heiliges Feuer leuchtete plötzlich aus dem schönen Antlitz, in das sich die Spuren von Hungerland eingegraben hatten. »Es wird eine harte, aber wunderbare Zeit werden, Kelric«, sprach er leidenschaftlich. »Ich möchte sie nie missen.«
»Hör auf ihn!«, murmelte Marbon versunken. »Er ist unser vollkommenes Idealbild. Keiner von uns kann je so sein wie er.« Dann lächelte er. »Du kannst nun gehen, Kelric, und deine Kameraden kennenlernen.«
Kelric ging folgsam und erleichtert nach draußen.
Die Zauberer unterhielten sich noch einige Zeit über verschiedene Dinge, bis Melwin einen Verdacht aussprach:
»Lord Marbon, Ihr spracht von Kelrics Talent als seit Jahrtausenden nicht mehr vorgekommen. Hegt Ihr die Hoffnung, dass er eines Tages die Macht von Lindala brechen wird?«
Marbon sah dem jungen Mann direkt in die Augen; eiserne Entschlossenheit beherrschte seine Züge, seine Hand ballte sich grimmig zur Faust. »Diese Sehnsucht habe ich«, gestand er ruhig. »Der Alte Zauberer muss endlich vernichtet werden!«
»Na?«, fragte Teng, als Kelric mit verdutztem Gesichtsausdruck draußen erschien. »Nun hast du einen ordentlichen Schrecken abbekommen, was?« Er nickte zufrieden, als der Junge verstört zu ihm aufsah. »Denk dir nichts«, fuhr er freundlich fort. »So ergeht es allen. Ich sehe euch Kerlchen nun schon seit zehn Jahren ankommen und bleich das Haus des Lordmeisters verlassen. Lass dich also bloß nicht von den anderen beeindrucken. Die hatten genauso große Angst wie du, nur überspielen sie das mit einer großen Klappe und versuchen dich einzuschüchtern. Siehst du, gleich da hinten am See, da sind sie alle, einer eingebildeter und verrückter wie der andere!«
Kelric lächelte plötzlich, »Sie sind bestimmt der beste Freund von allen, oder?«
Teng lachte schallend. »Nun ja, wir alle vom Bedienungspersonal. Wir geben euch zu essen und putzen eure Nasen. Und damit du's gleich weißt: Wir sagen alle du zueinander. Klar?«
»Klar!«, lachte Kelric befreit und sprang rasch zum See davon.
Sie erwarteten ihn schon alle; und er setzte seine wichtigste und erwachsenste Miene auf, stellte sich geradeheraus vor, begrüßte sie alle zusammen und wollte dann ihre Namen wissen. Die Jungen sahen ihn leicht verblüfft an, denn so ein forsches Auftreten hatten sie nicht erwartet; dann stellten sie sich vor und fragten ihn, wie es beim Lordmeister gewesen war.
»Schrecklich«, gestand Kelric freimütig. »Ich habe mir vor Angst beinahe in die Hose gemacht. Aber Teng hat mir geholfen, indem er mir sagte, dass ihr alle genauso wie ich geschlottert habt.«
Wiederum herrschte erstaunte Stille, dann brachen alle in lautes Gelächter aus; die ihm am nächsten standen, schlugen ihm auf die Schulter und zogen ihn in ihre Mitte.
»Und hat er dir auch zum Abschied gesagt, dass du ihn sicherlich dann sehen wirst, wenn du was angestellt hast?«, wollte einer wissen.
»Nein«, erwiderte Kelric. »Er will mich später selbst unterrichten.«
Zum dritten Mal herrschte jähe Stille. Dann lachte der Knabe, der ihn angesprochen hatte, Fandor hieß er, verächtlich und rief: »Kannst du vielleicht was Besonderes, weil der Lordmeister das tun will?«
Kelric zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht. Aber ich habe zum Beispiel einen Wompet gezähmt.«
Die einen glotzten ihn an, die anderen flüsterten aufgeregt miteinander.
»Das gibt's doch gar nicht!«, schrie Fandor aufgebracht. »Wompets sind unzähmbar! Du willst bloß angeben!«
»Ich kann's«, behauptete Kelric ungerührt und drehte sich zu Melwin um, der sich lächelnd einen Weg zu ihm bahnte. »Stimmt es etwa nicht, Herr Melwin?«
Erwartungsvoll hingen alle Augen an dem Zauberer, der noch stärker lächelte. »Es ist wahr, Jungs«, bestätigte er. »Er hat es tatsächlich geschafft. Kelric kommt aus Loïree.«
Hunderte von Jahren später erinnerte man sich immer noch an jene Anekdote von dem zehnjährigen Kelric, der innerhalb weniger Augenblicke eine ganze Horde gleichaltriger Lümmel viermal
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