Uschi Zietsch
die Laïre selbst bekämpfen kann, denn er wurde hier ausgebildet. Aber der Kampf gegen Oloïn ist eine andere Sache, und genau gegen ihn werde ich antreten, sobald ich Zauberer bin, immer wieder, um den Menschen Frieden zu geben.«
Fandor blickte ihn erschrocken an.
9.
Die Ausbildung
Die Jahre vergingen schnell für Kelric. Sein Stundenplan war jeden Tag berstend voll – er lernte sämtliche Sprachen, Schriftzeichen, Pflanzen, Tiere, Völker und Länder dieser Welt kennen; er übte sich in Logik und Mathematik, versuchte die Wetterkunde, erfuhr die mit unzähligen Legenden dieser und anderer Welten verflochtene Historie und verlor sich zeitweise ganz in Philosophie.
Das erste Schuljahr war ihm recht langweilig erschienen, und in der ersten Hälfte des zweiten Jahrs faulenzte er, bis er sich selbst nicht mehr ertragen konnte. Von unstillbarem heißen Wissensdurst getrieben, lungerte er noch spätabends in der Bibliothek herum, fraß die Bücher förmlich in sich hinein und fragte den Lehrern Löcher in den Bauch. Im eisernen Selbststudium eignete er sich ein Wissen an, mit dem er seine Altersgenossen bald überflügelte, und Lordmeister Marbon nahm ihn gern in seine Dienste. Er hielt nächtelange Dispute mit dem alten Zauberer und erarbeitete gemeinsam Formeln mit ihm, bis er schließlich vor der Zeit in magischen Dingen unterrichtet wurde.
So kam es, dass Kelric den Dingen tiefer auf den Grund ging als seine Freunde. In monatelanger Geduld lernte er nichts als Namen, Namen, und noch mehr Namen; dann erforschte er deren Bedeutung, bevor er lernte, wie man den Ursprung von all diesen Dingen ergründen konnte, der wiederum die Macht darüber verlieh. Und Kelric spürte die Macht sehr stark in sich; er musste sie bezähmen, wenn er langweilige Theorie durchnehmen und an dem für ihn uninteressanten, weil längst durchgearbeiteten Allgemeinunterricht teilnehmen musste. Er fühlte die Gier seiner Magie, hervorzubrechen und der Welt ihre Kraft zu zeigen – und dem Gelben Gott, auf den sein Hass in all den Jahren anwuchs, je mehr er von ihm erfuhr. Er wusste, dass es kaum etwas gab, das ihm gewachsen war. Unter Marbons vorsichtiger Anleitung lernte er, seine gedankenlesende Begabung so zu schulen und zu erweitern, dass er in den Verstand eines jeden Wesens einzudringen und ihm seinen Willen aufzuzwingen vermochte, ohne dass derjenige etwas davon spürte.
Aber noch war es nicht soweit, die Zauberkraft praktisch anwenden zu lernen. Erst wenn er nach der Ersten Prüfung Anwärter war, durfte er die Vier Türme besteigen und in alle Geheimnisse eingeweiht werden, über die er sich dann in den Wandelgängen mit Gleichgesinnten auseinander setzte. Schon jetzt hing sein bewundernder Blick sehnsüchtig auf den jungen Männern, die ihr Aussehen bereits zu verändern begannen und mit so stillen und ernsten, irgendwie verklärten Gesichtern in den Wandelgängen umherschritten, fern aller kindlichen Spielerei, fern dem weltlichen Geschehen, von der ersten würdevollen Aura umgeben.
Aber es verging kein Tag, an dem Kelric nicht an Melwin dachte; jeder dachte an ihn als das fast vollkommene Idealbild des Zauberers: in seiner geistigen Macht, die er mit unerreichbarer Würde trug, so überlegen, so sanft und doch fröhlich, beherrscht in seinen Gefühlen und Künsten; das Antlitz so klar und schön, die Augen tief wie Seen, voller Weisheit und Geheimnisse. Jeder Heilige Wanderer, der nach Laïre kam, wusste von Melwins Taten zu berichten. Kelric, der nach den Angaben der Männer seinen Geist nach ihm suchen ließ, fand ihn jedoch nie. Sein Gemütszustand war immer noch recht schwankend, und er versank daher oft nach seinen vergeblichen Versuchen in düstere Grübeleien, aus denen ihn erst der Sommer herausriss, wenn es auf die Felder hinaus ging. Die Schüler mussten alles über Ackerbau und Viehzucht lernen; sie bestellten selbst so manches Feld, halfen bei der Obsternte, zogen Gemüse, kelterten Wein und pflanzten in kleinen Beeten Kräuter und seltene Blumenzüchtungen. Es war eine herrliche Sache, fort von der grauen Theorie hinaus ins Freie zu kommen und unter der brennenden Sonne tüchtig zu schwitzen und zu schuften. Die jungen Schüler kühlten den erhitzten Körper ab beim Fischfang und Tauchübungen in den Seen; neben der Arbeit machten sie noch körperliche Übungen und Läufe; sogar den Waffenumgang lernten sie, und die kindlichen Glieder streckten sich bald in die Höhe und wurden muskulös.
Noch bei der
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