Uschi Zietsch
dumpfe Röhren der mächtigen Riesenelks. Auf den Hauptverkehrsstraßen zur Stadt Gorga herrschte geschäftiges Treiben; in ganz Loïree erwachte das Leben, und man konnte überrascht sein, wie viele Dörfer und Menschen es in diesem sonst so kargen Gebirgsland gab.
Auf einem weniger belebten Weg ging ein junger, mittelgroßer schlanker Mann mit glatten braunen Haaren und lustig funkelnden hellblauen Augen; sein Gesicht war gut geschnitten, offen und ehrlich, sein Gang beschwingt und heiter; er trug bunte weite Gewänder und einen breitkrempigen Hut mit einer großen Feder; seine schmalen Finger zupften an einer Klampfe, und er sang zu einer hübschen Melodie trällernd anspruchslose Lieder, die von der Liebe handelten.
»Ach, du, mein klein Liebchen fein,
sei doch nur gut zu mir und lass mich in dein Kämmerlein,
denn ich hab dies zu erzählen, allein dir,
will ja nur von Liebe sprechen, will ja nur ein wenig lieben,
lass mich ein, willst du nicht das Herz mir brechen
und das Leuchten meiner Augen trüben.
Oh, du blühend Röselein, du allerliebstes Schätzelein!«
Er brach ab, als er an einer Wegkreuzung einen Mann aus der Richtung der Berge kommen sah; pfiff leise durch die Zähne, als er das wertvolle Xiladansilber des Gürtels in der Sonne blitzen sah, und erkannte sogleich einen Heiligen Wanderer in dem Fremden, dessen tiefblaue strahlende Augen sich interessiert auf ihn richteten. Er lüpfte den Hut in gekonntem weiten Schwung und vollführte eine gelungene Verbeugung.
»Zu Diensten, mein Herr Zauberer!«, rief er fröhlich. »Gestattet mir, mich vorzustellen: Ich bin ein genialer Künstler von Himmels Gnaden, Gromgen Vogelsang, der Troubadur so vieler tragischer Balladen und heiterer Gesänge, der Freund aller Vögel, der manchmal selbst zur Feder greift und zärtliche Gedichte schreibt.«
»Gromgen Vogelsang«, wiederholte der Zauberer langsam und nickte dann. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«
»Kein Wunder!«, rief Gromgen mit großartiger Geste. »Der Himmel hört mir zu, die Vögel pfeifen meine Melodien, Sänger und Schauspieler der ganzen Welt rezitieren meine Gedichte und Balladen. Ich bin der Troubadur dieser Welt, und Ihr«, er zwinkerte fröhlich, »Ihr selbst seid gewiss ... oh, ich will ab sofort töricht wie eine Krähe krächzen, wenn ich mich irre ... Ihr seid höchstpersönlich der große Lord Kelric, von dem alle Welt spricht und der stets meinen Magen sättigt, denn jeder will meine Geschichten über Euch hören. Seid Ihr's? Doch ja, kein Zauberer hat solch hohen Wuchs und dies markante Antlitz. Mein Lord, es ist mir eine große Ehre, in der Tat, wirklich!«
Er verbeugte sich nochmals tief mit schwingendem Hut.
Kelric schmunzelte. »Wenn Ihre Kunst so groß ist wie mein Hunger, so will ich Ihren Worten sogar glauben«, erwiderte er.
Gromgen starrte ihn verblüfft an und lachte dann schallend. »Je nun, ich verstehe zu leben, und das ist das einzige, was zählt. Je weniger man mich ernst nimmt, desto besser kann ich die anderen ausneh... ähm, erfreuen. Aber Ihr habt Hunger, und ich will sehen, was ich ... oh, schade, alle Taschen leer!« Er zuckte die Achseln und lachte. »Aber wir haben gerade noch zwei Wegstunden bis Gorga, und wenn Euch meine Gesellschaft nicht stört, lenke ich Euch unterwegs durch anständige Lieder ab, und im besten Gasthaus von Gorga, dem Badenden Troll, ersinge ich uns beiden im Handumdrehen zwei leckere Mahlzeiten und Betten für die Nacht.«
»Mit unanständigen Liedern, natürlich.«
»Natürlich.«
Die beiden so verschiedenartigen Männer lächelten sich an und setzten den Weg in gemeinsamer Heiterkeit fort.
Der Badende Troll war nicht nur das beste Gasthaus von Gorga, sondern auch das schönste und größte. Es war verwinkelt und teilte sich in viele Räume auf; Stein und Holz wechselten sich ab, die Wände waren teilweise bemalt und mit Sprüchen verziert; an den Balkonen der oberen Stockwerke waren Blumenkästen befestigt, und das große Aushängeschild stellte einen fröhlich lachenden (wenngleich dadurch nicht minder hässlichen) Troll dar, der sich in einer viel zu kleinen Badewanne den Rücken schrubbte. Es gab mehrere Stockwerke mit vielen Gästezimmern, von denen die meisten besetzt waren; auch die Gasträume waren sehr gut besucht.
Gorga selbst war eine Menschenstadt wie jede andere: überschäumend von verschiedenartigstem Leben, mit unterschiedlich gebauten hübschen Häusern und vielen einzelnen Märkten; aus allen vier
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