Uschi Zietsch
rasende Geschwindigkeit kaum fassen, mit der der Sternwolf über das Land fegte; schneller als jedes Pferd. Die mächtigen Pfoten schienen den Boden kaum zu berühren, die Krallen schlugen tiefe Kerben in weiches Erdreich und rissen Grasbüschel aus. Sein Atem ging schnell und hechelnd, die Zunge hing seitlich aus dem halb geöffneten Maul. Bald überkam Gorwyna es wie ein Rausch, und sie fühlte sich unendlich stark und sicher, die unbesiegbare Königin des Himmels und der Erde; und so sah sie auch aus, trotz der abgerissenen Kleidung: Der Wind fuhr durch ihr langes schwarzes Haar wie durch die Mähne eines Pferdes, die Fetzen flatterten hinter ihr. Sie saß leicht nach vorn gebeugt mit blitzenden, leuchtenden Augen; eine feenhafte Mädchengestalt auf dem mächtigsten Fabeltier der Welt.
Die fünfzig Schritt lange Brücke über den Schwefelfluss zwischen Laïmor und Dwarg wurde von schwer bewaffneten Zöllnern bewacht, die im Auftrag des Dwing Wegegeld verlangten. Wie an jedem Tag herrschte auch zu dieser frühen Stunde schon reger Betrieb. Als ein Händler einen Ruf ausstieß und zitternd einen Arm ausstreckte, drehten sich die meisten Reisenden um. Zuerst war in der Ferne nur eine gewaltige Staubwolke zu sehen, die allerdings rasend schnell herankam. Ein ungläubiges Ächzen entrang sich einigen Händlern, als sich innerhalb der Wolke plötzlich die Konturen eines silberglitzernden Wolfes, groß wie ein Pony, herausschälten, mit einer schönen jungen Frau, wohl eine Fee, auf dem Rücken.
Die Frau rief ihnen etwas zu, das niemand verstand, denn gleichzeitig stieß der Wolf, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, ein ohrenbetäubendes Geheul aus, und zwei grelle Blitzstrahlen schossen aus den Diamantaugen. Da kam augenblicklich Bewegung in Mensch und Tier. Wer sich auf der Brücke befand, stürzte sich kopfüber ins Wasser; die vor die Fuhrwerke gespannten Pferde gingen wiehernd durch und stoben in alle Richtungen davon, und der Rest brachte sich irgendwie mit einem Satz zur Seite in Sicherheit – keinen Augenblick zu früh, denn schon war das Wesen heran. Die Brücke erzitterte, als die riesigen Pfoten dröhnend auf die Planken schlugen und mit den Krallen tiefe Scharten ins Holz trieben; dies alles nicht länger als zwei Sprünge und drei rasende Herzschläge, dann war der Wolf mit seiner Reiterin bereits wie ein Spuk abseits der Straße in der Wildnis verschwunden.
Niemand wusste, wie alt das Dwarg Volk war und welchem Gott es diente. Es war das einzige aller Fremdvölker, das den Menschen Freundschaft entgegenbrachte, darüber hinaus aber auch Handel mit allen anderen Völkern trieb. Tagsüber waren die Dwarg nur in Menschengestalt anzutreffen; sie zeigten sich von großer, schlanker Gestalt mit schrägen grünen Augen und schmalen Gesichtern. Selbst magische und zudem mächtige Wesen, waren sie durch nichts so leicht aus der Ruhe zu bringen. Aber die Kunde von dem Sternwolf mit seiner Reiterin machte rasend schnell mit Botenfalken die Runde, und der Dwing gab Alarm. Das Marktzentrum mit der Burg in der Mitte wurde in rasender Geschwindigkeit geräumt, und die Hauptstraße, der einzige Zugangsweg, an den Seiten von Soldaten bewacht. Die sonst so lebhafte, weitflächige Stadt lag plötzlich leer und verlassen. Der Dwing stand persönlich auf der Zinne über dem Burgtor und beobachtete das Nahen der Staubwolke mit leicht klopfendem Herzen. Dies waren keine einfachen Zeiten mehr; die Kunde vom Überfall auf Lefrad war längst hierher gedrungen, und der Fürst wusste, dass es der Beginn der letzten Auseinandersetzung war.
»Sollen sich die Bogenschützen bereit machen?«, fragte der Anführer der Garde.
Der Dwing winkte ab. »Keine Waffen im Anschlag. Wir wissen nicht, in welcher Absicht der Sternwolf hierher kommt. Solange er nicht angreift, werden wir nichts unternehmen, verstanden?«
»Sollten wir dann nicht wenigstens das Burgtor –«
»Es bleibt offen! Wir wissen uns zu wehren! Sind wir nicht die Dwarg? Mächtiger als Werwölfe und Phantome zusammen?«
Das mochte stimmen. Aber der Sternwolf war weder Werwolf noch Phantom.
Doch man gehorchte dem Dwing.
Und dann war er auch schon da.
Der Sternwolf kam wie erwartet auf der Hauptstraße heran und kündigte seine Ankunft durch lautes Heulen an. Er fegte an den Soldaten vorbei, hüllte sie in Staub und glitzerndes Licht, hielt direkt auf die Burg zu, und galoppierte durch das geöffnete Tor. Dann erst wurde er langsamer, trabte auf den Burgeingang zu
Weitere Kostenlose Bücher