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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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Ich mußte allein sehen, wie ich der höllischen Maschine zu Leibe rücken könnte.
    Vom doppelten Petersdom brummte ein dumpfer, gewaltiger Glockenschlag herüber und übertönte das ferne Brausen der Menschenmassen und Musikgeräusche.
    Ein Uhr. Es galt, zu handeln.
    Ich zog über Hände und Füße die Isolierschichten und tastete das Gitter ab. Es war nicht besonders hoch und bot einem einigermaßen gewandten Turner keine Schwierigkeiten. Meine einzige Sorge galt den Spitzen. Sie konnten so stark geladen sein, daß meine Isolierung durchschlug. Nun – dann war es eben vorbei.
    Vorsichtig schob ich mich zwischen den eisernen Querstäben hoch. Noch ein Blick über die Straße hin, Sie lag menschenleer wie seit Stunden. Ich griff be herzt nach den Spitzen, schwang mich empor und setz te das rechte Bein über, als sich aus dem Dunkel der gegenüberliegenden Straßenseite eine Gestalt löste und in geduckten Sprüngen auf mich zueilte.
    Ich riß den elektrischen Revolver aus meiner Tasche, der lautlos durch seinen Strahl betäubt, verlor das Gleichgewicht und stürzte in den Garten ab.
    Durch das Gitter zischte mich der Verfolger an: »Bringst mit deinen Dummheiten noch eigene Genos sen in Gefahr!« Mit schmerzenden Gliedern richtete ich mich halb auf: »Hein?« fragte ich schwach.
    »Wer sonst?« flüsterte es zurück.
    »Komm schnell rüber!« sagte ich.
    Hein schwang sich leicht über das Gitter. Sein Gehrock schlotterte ihm dabei lächerlich um die Beine. Er kniete neben mir.
    »Ein blödsinniger Streich von dir!« pfiff ich ihn auf deutsch an.
    »Wir wollen nur utopisch reden«, flüsterte er zurück, »eine fremde Sprache würde uns sofort verraten. Bist du verwundet?«
    Ich streckte mich. Alle Glieder waren heil.
    »Also vorwärts!«
    Wir krochen zwischen den Stahlsäulen, durch Hecken und über Blumenbeete langsam gegen das Haus. Ich beobachtete dabei das Galvanometer. Es verriet keine Unruhe.
    Das wunderte mich.
    Hein hielt sich hinter mir. Ich war eigentlich gar nicht froh, daß er noch gekommen war. Mich fröstelte im Rücken.
    Endlich hatten wir die blinde Seite der Burg erreicht. Ich tastete die Wand ab. Sie fühlte sich glatt und kühl an, wie Metall. An der scharfen Kante setzte ich meine Feile an. Sie griff nicht.
    Ich empfand, daß Hein hinter mir grinste, und ärgerte mich.
    »Unsere Werkzeuge sind für die Katz!« flüsterte ich.
    Hein blieb stumm.
    Wir schlichen nun an der Querseite des Hauses entlang. Auch hier konnte ich keine Fensteröffnungen bemerken. Allerdings verhinderte die Finsternis die genaue Beobachtung.
    Da erschien auf dem Rasen ein schwacher Lichtschimmer. Er mußte aus der Hinterfront des Hauses dringen.
    Wir bogen mit verdoppelter Vorsicht um die zweite Ecke.
    Gedämpfte Stimmen drangen heran. Bäuchlings krochen wir weiter. Den Revolver hielt ich zwischen den Zähnen.
    Auf der untersten Terrasse saßen sich in bequemen Seidensesseln zwei Männer gegenüber. Das indirekte Licht, dessen Quelle ich nicht feststellen konnte, fiel matt auf die Gestalten. Ich erkannte sofort den jungen Morgon, der uns im Café zurechtgewiesen hatte. Sein Partner war ohne Zweifel der Großvater, der alte Morgon. Unter einer leichten Sportmütze schien ein Totenkopf zu grinsen. Die lederfarbene Haut spannte sich scheinbar ohne Muskelpackung über die scharf hervortretenden Backenknochen. Die Augen, wenn dieses Gespenst überhaupt welche hatte, lagen im Schatten des Mützenschirms.
    Ich verstand jedes Wort der ruhig geführten Unterhaltung. Der Junge: »Dieser Joll ist zu allem fähig. Er wird uns alle vernichten, uns und die ganze Arbeitersiedlung. Möchte wissen, wer ihm die verrückte Idee eingeredet hat, wir arbeiteten mit irgendwelchen Strahlen.«
    Der Alte: »Und ich habe mich doch so herzlich gefreut, daß der Arbeiterstaat so prächtig gedieh. Die kleinen Schikanen, mit denen uns die Regierung beehr te, wären mit der Zeit auch verschwunden …«
    Der Junge: »Natürlich. Man kann ja nicht leugnen, daß irgendeine finstere Macht auf die Massen einwirkt. Es geht toll zu in der Stadt. Ich vermute – und das ist auch die Meinung der anderen Vorstandsmitglieder –, daß dieser Joll selbst eine solche Höllenmaschine erfunden hat. Er ist eine zerstörerische Natur. Das Schicksal seines Vorfahren hat ihm offenbar den Verstand verwirrt. Er schafft jetzt einen Anlaß, um den ganzen Kontinent vernichten zu können.«
    Der Alte (seine sonst leblose Greisenhand zur Faust ballend): »Das wird’s sein! Du

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