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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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zusammen … Da saß dieser Joll vor mir, der es kalten Blutes ausgesprochen hatte. Sein Gesicht glich einer steinernen Maske. Wer konnte die Gedanken hinter dieser Stirn erraten? Das Gespräch der schattenhaften Morgons flatterte durch mein Gedächtnis. Sie hatten recht, Joll war vom Zerstörungswahn befallen, irrsinnig.
    Ich fühlte, wie der Blick aus seinen grauen Augen mich lähmte, und war wie ausgelöscht vor Entsetzen. Die Zunge klebte mir am Gaumen, ich wollte reden, aber alles was ich herauskrächzte, war: »Du mußt kapitulieren, verhandeln …«
    Seine rechte Hand, die flach auf der Schreibplatte lag, zog sich langsam zur Faust zusammen. »Nie!« Die steinerne Maske hatte kaum die Lippen bewegt.
    Es verging noch eine Zeit, mir schien es wie eine stumme Ewigkeit, aber vielleicht waren es nur Sekunden. Joll stand auf und sprach ganz nüchtern in seiner sachlichen Art: »Bevor ich die Fernlenker ablasse, wende ich ein anderes Mittel an, um die erkrankten Genossen aus dem inneren Bereich der Stadt aufs Land zu locken. Du brauchst dich nicht zu sorgen!«
    »Ein solches Mittel gibt es?« rief ich überrascht und aus dem Gleis geworfen. »Warum hast du es nicht schon längst versucht? Warum …«
    »Das viele Fragen lernt ihr Europaleute noch vor dem ersten Kinderschrei. – Die Sache funktioniert nur, wenn der Habgierteufel sich ganz ins Bewußtsein unserer Genossen eingefressen hat. Damit für heute genug.«
    Joll gähnte und ließ sich müde in einen Sessel fal len. »Ich möchte schlafen«, sagte er matt. »So schleicht es heran.« Sprach ins Telephon: »Alle Flugschiffe klar. Material an Bord schaffen. In zwei Stunden Start nach Futura …« Lauschte. Seine Gestalt straffte sich, die alte Energie kehrte zurück. »Wie?« – schrie er in den Apparat – »wollen nicht?« – »erst ausschlafen?« – »übermüdet?« – »komme sofort selbst; in zehn Minu ten laufen alle Maschinen!«
    Er sprang auf und drückte mir hastig die Hand.
    »Was soll ich im Turm bestellen?«
    »Im Turm?« – Er sann starr und düster vor sich hin: »Joll läßt den Genossen im Turm sagen, sie fallen als Revolutionäre im Kampf. Wenn die Fernlenker kommen, sollen sie die rote Fahne einziehen. Niemand soll sagen können, daß die Fahne der Weltrevolution gesunken sei.
    Der Turm wird stürzen. Die Erschütterungen der Explosionen werden seine Fundamente zerreißen.
    Lebt wohl, Genossen!«
    Er lief hinaus, Befehle auf den Lippen.
    Ich ging ihm langsam nach.
    Als ich mein Flugzeug bestieg, rauschte das große Geschwader nach Westen ab.
    Ich drehte mein Steuer ostwärts. Sonderbare Ruhe erfüllte mich, als im Abenddunst, wie eine schlanke Fackel, hoch über dem Lichtmeer der Stadt, der Turm auf mich zuflog.
     
27
     
    Man nahm Jolls Botschaft mit Schweigen auf. Es gab keinen Ausweg.
    Doch. Ich wußte einen. Mein Flugzeug konnte im Höchstfall vier Menschen tragen. Ich schlug vor, man solle mir jeweils drei Genossen gefesselt übergeben. Ich würde sie nach Futura bringen.
    Noris erwiderte: »Im Turm befinden sich noch mehr als tausend Leute. Wen willst du unter diesen aussuchen? Jeder hat den gleichen Anspruch auf Leben.«
    Ich blieb die Antwort schuldig.
    Die Signallichter spielten. In der Sitzungshalle fand sich die ganze Besatzung zusammen.
    Die tausend Menschen verloren sich in dem riesigen Raum und machten ihn stiller und feierlicher, als wenn er unbenutzt war.
    Noris klärte über die Lage auf und verkündete die Absichten Jolls. Ich bemerkte keine Bewegung unter den Anwesenden.
    »Ich verdenke es keinem Genossen«, fuhr er fort, »wenn er den Turm verlassen will. Vielleicht entgeht er so im Wahn der Krankheit, den Joll offenbar zu seinem Rettungsversuch ausnutzen will, der Vernichtung. Ich bitte die Genossinnen und Genossen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollen, sich nach rechts auszusondern.«
    Niemand tat einen Schritt. Dagegen rief ein älterer Genosse: »Wir sind als Menschen aufgewachsen und wollen nicht als tolle Tiere untergehen. Wer Furcht vor dem letzten Augenblick hat, ist nie Revolutionär gewesen. Wir leben und sterben auf unserem Posten als freie Genossen des freien Arbeiterstaates. Es lebe die soziale Weltrevolution!«
    In diesen Ruf stimmten wir alle ein. Jeder ging wieder an seinen Dienst.
    Als wir wieder im Sitzungssaal beisammensaßen, meinte Tirwa zu Noris trocken: »Ne unnötige Theatervorstellung, mein Lieber. Glaubtest du im Ernst, einer hatte sich klaren Kopfes entschließen können, stolzes

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