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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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beiden Frauen am Boden, rauften sich die Haare aus und zerkratzten sich wie fauchende Katzen die Gesichter.
    Der verprügelte Doppel-Ehemann schlich sich davon. Er wird sich jetzt wahrscheinlich eine dritte Lebensgefährtin im Paradieszelt angeloben lassen, dachte ich mir.
    Plötzlich entwickelte sich auch unter den Zuschauern Streit. Angesichts der kämpfenden und blutenden Amazonen, die nur noch Fistelschreie ausstießen, machte man sich gegenseitig aufmerksam, man habe es gar nicht nötig, zu lachen, man sei auch nicht besser als die. Böse Worte flogen von Tür zu Tür. Und wie auf geheimen Befehl war die Prügelei allgemein.
    Ich benutzte die Gelegenheit, um mich in den Wohnräumen umzusehen.
    O schöne, reine Welt des utopischen Arbeiters, wie hatte sie sich unter dem Einfluß von Eitelkeit und Besitzgier traurig verändert!
    An den Wänden hingen jetzt scheußliche Öldruckbilder in blechgestanzten Rahmen, je nach Geschmack. Heidelandschaften in verschmierten Farben, schmachtende Heiligenbilder oder Aktphotographien von halbwüchsigen Mädchen.
    Papierblumen staubten in bunten Glasscherben. Über die eingelassenen elektrischen Uhren hatte man Pendeluhren mit gedrechselten und geschnörkelten Aufsätzen gehängt. Es gab völlig nutzlose, wackelige Ziertischchen mit Spitzendeckchen, auf denen sich Steingutmöpse ausruhten.
    Besonders findige Köpfe hatten Papiergirlanden über die Zimmerdecke gespannt. Gipsfiguren ließen den Trompeter von Säckingen und den drachentötenden Siegfried wieder aufleben.
    Da sah ich Frösche und Schweine zu Aschenbechern verarbeitet, horngeschnitzte Damenbeine als Klappmessergriffe und Igel, aus denen sich Zahnstocher als Stacheln sträubten.
    Verwundert betrachtete ich einen in Holz gebrannten und mit Edelweiß umrahmten Wandspruch: »Grüß Gott, tritt ein, bring’ Glück herein!« – als mich eine Faust unsanft im Genick packte und eine heisere Stim me in mein Ohr brüllte: »Überall will dieses Gesindel stehlen! Wir sind im Verein gegen Bettelei, verstanden? – Rraus!!« Meine Hinterseite spürte die wuchtige Breite eines Männerstiefels und ich flog hinaus. Hinter mir krachte die Türe. Ich fiel auf einige Verwundete, die stöhnend vom Kampfplatz krochen, und rettete mich durch eilige Flucht vor ihrem Zorn.
    Mein Bart saß noch fest. Ich gedachte dankbar des Genossen, der ihn mir geklebt hatte.
    Auf dem Rummelplatz hatten jetzt die meisten Buden geschlossen. Der Wahnsinn suchte sich andere Ziele. Nur in den Werbezelten der Brigade und der Kirche blühte das Geschäft nach wie vor.
    Über die Straßen lief ein neues Wort, das die Massen erregte und der Goldstadt zutrieb.
    »Der Kaiser – der Kaiser –« hörte ich von Mund zu Mund gehen. »Der Kaiser soll gekrönt werden – Kai serkrönung – Dom – Hurra, wir haben einen Kaiser! …«
    Aus den Nebenstraßen schwenkten geschlossene Trupps mit vielfarbig bunten Fahnen ein und brachen sich den Weg durch die gestaute Menge. Es gab Verwundete, wahrscheinlich Tote. Ich schloß mich einem dieser Züge an.
    Wir kamen nur langsam vorwärts. Aus den Fenstern der Hotels, Cafés warf man Blumen, Früchte und Backwerk auf uns herab. Eine besonders begeisterte Zuschauerin wirbelte eine silberne Bratenschüssel durch die Luft, die einen Mann in meiner Nähe erschlug.
    Dazu dröhnten alle Glocken vom Dom. Böllerschüsse krachten. Leute, die Schußwaffen bei sich trugen, feuerten sie im blinden Taumel in die Luft ab und trafen andere, die aus den Fenstern heraushingen.
    Ein Trupp der Brigade, der mit klingendem Spiel vor uns marschierte, ärgerte sich über das langsame Marschtempo, schob zwei Maschinengewehre in Front und knallte zum Spaß in die Masse vor uns. Von den Fenstern beklatschten die Damen dieses schneidige Vorgehen. Einige stürzten auf die Straße, weil sie sich zu weit herausgebeugt hatten. Sie blieben zerschmettert liegen. Niemand achtete auf sie und die Toten, die vor den dampfenden Mündungen der Mordmaschinen in Reihen lagen.
    Wir konnten jetzt freiweg marschieren.
    Der Eingang zum Dom wurde mit gefälltem Bajo nett erstürmt. Der Blutrausch der Massen wuchs. Frau en knieten sich mit entblößten Brüsten vor die blitzenden Waffen hin und wurden niedergestochen. Man klatsch te Beifall wie im Theater. Ich sah Männer, die sich in die Arme bissen, um ihr eigenes Blut fließen zu sehen.
    »Taallos«, schnarrte neben mir eine Offizierscharge, »hätte nie jedacht, daß in rotem Jesindel doch ’n janz brauchbarer Kern

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