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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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steckt. Na, Jungens, mal immer feste druff!«
    Seine Garde ließ sich das nicht zweimal sagen, hieb und haute um sich, bloß zum Spaß natürlich, daß die Fetzen flogen. Wer sich von den Niedergebrochenen noch rührte, bekam von den nachrückenden Polizeimannschaften seinen Rest mit dem Gummiknüppel.
    Im Innern des Doms drängten sich an die hunderttausend Menschen Kopf bei Kopf. Sie hockten auf Altären, Kreuzen und Figuren; klammerten wie Affen an Kandelabern, Gesimsen und Zieraten. Niemand konnte ahnen, wie sie da hinaufgekommen waren.
    Alle Orgeln spielten mit vollem Werk zugleich. Von hunderttausend Menschen brüllte jeder, was die Kehle hergab. Uniformierte Musikbanden schmetterten Kriegsmärsche. Salven krachten. Weihrauch mischte sich mit Pulverdampf, Weihwasser mit Blut.
    Ich schob mich an den Wänden entlang in die Nähe des Hochaltars. Dort hatte man ein riesiges mit Fah nentuch verkleidetes Gerüst aufgeschlagen. Auf vergoldeten Stufen stand ein ungeheurer Thronsessel von roten Samthimmeln und Kronen überdacht.
    Männer, in goldstrotzenden Uniformen, mit breiten roten Streifen an den Hosen und federbuschige Helme im Arm, hielten zu beiden Seiten des Thrones Wacht. Hinter ihnen starrten Fahnen. Rechts und links flankierten das Gerüst zwei alte Bronzekanonen, die man wahrscheinlich aus dem Museum geholt hatte.
    In die ehrwürdigen Vorderlader stopfte man Kartuschen.
    Ich ahnte nichts Gutes.
    Priester kamen und besprengten den Thronsessel mit Weihwasser. Sie benahmen sich dabei sonderbar gravitätisch und sangen bekannte Arbeiterlieder getragen im liturgischen Tonfall.
    Die Kirche selbst beteiligte sich also nicht an dieser Maskerade, zu der sie aber Raum und Kostüme hergab. Sie konnte dann später jede Verantwortung leugnen. Entschädigung für Zerstörungen hatten ihr die Privaten wohl zugesichert.
    Die falschen Priester knieten nieder, falteten die Hände und erhoben sich wieder, wie sie es bei den echten gesehen hatten. Der einzige Unterschied zwischen diesen und jenen ergab sich aus der Körperform. Die wahren Priester verrichteten nämlich alle diese Übungen gleichmäßiger und weihevoller, weil ihr Fett kräftige Bewegungen dämpfte, während ihre Nachahmer von magerer und sehniger Gestalt waren, und dementsprechend straffer ins Zeug gingen.
    Der Lärm schwoll ungeheuer an. Aus der Sakristei von rechts näherte sich in feierlichem Zug die neue Hofgesellschaft. Sofern die Damen nicht über die ungewohnten Schleppkleider stolperten, trugen sie die Nasen fürstlich erhoben. Die Herren in goldbestickten Diplomatenfracks mit breiten Ordenssternen. Ich konn te mich nicht genug verwundern, wo man diesen Plunder in aller Eile aufgetrieben hatte.
    Nachdem sich dieser Zug gruppiert hatte, erschienen zwölf stramme Jungfrauen in Walkürenpanzern und Flügelhelmen. Sie fuchtelten fürchterlich mit Speeren durch die Luft und sangen. Man konnte aber im ohrenbetäubenden Lärm nichts davon hören.
    Nach solcher Übung bildeten sie Spalier an den Stufen.
    Auf schweren Pferden – ich hatte vorher keine in Utopien gesehen – donnerten von rechts und links etwa fünfzig Fanfarenreiter auf die Estrade, rissen die halbe Hofgesellschaft über den Haufen, bildeten Front, stießen die standartengeschmückten Blechröhren in die Luft, und suchten mit einigem Erfolg den übrigen Lärm zu übertönen. Dann rissen sie altertümliche Pistolen aus den Gürteln, knallten sie ab und stoben wieder hinaus.
    Eine Kugel hatte das Seil eines freischwebenden Kronleuchters zerrissen. Die stürzende Metallast erschlug eine Handvoll Menschen. Man vernahm nicht einmal ihre Todesschreie.
    Und mehr noch schwoll das Gebrüll.
    Mit schnellen Schritten trat von rechts der Zeremonienmeister in die Mitte und stieß seinen Stab dreimal auf. Schwere Kanonenschüsse in nächster Nähe unterstrichen diese Handlung. Das Gebäude bebte. Und nun erschien der neue Kaiser.
    Er trug eine Art Generalsuniform. Darüber einen ungeheuren roten mit Hermelin eingesäumten Mantel, dessen Schleppe zwölf eisengepanzerte Ritter hielten.
    Er ging barhäuptig. Das einzige, das sein Antlitz vor anderen Menschengesichtern heraushob, war eine mächtige Schnurrbartbinde, die sich von Ohr zu Ohr zog. Obwohl unter ihr, wie ich zu meinem Befremden merkte, gar kein Bart sproß.
    Im gleichen langsamen Feierschritt nahte von links ein hoher Kirchenfürst mit edelsteinfunkelnder Tiara. Seine mächtigen Hände steckten in violetten Handschuhen, auf die gelbe Kreuze gestickt

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