Utopolis
waren.
Er trug dem Kaiser eine vielzackige goldene Krone entgegen. Priester aller Grade folgten ihm in prächtigen Gewändern.
Beide Züge trafen sich richtig vor dem Thron. Wahrscheinlich hatten sie das vorher schon mal probiert.
Der Kaiser kniete vor dem Papst nieder.
Ich sah jetzt sein Gesicht deutlich vor mir.
War das möglich! – Ich boxte mich durch die Men ge und setzte mein Leben aufs Spiel, um ganz sicher zu sein.
Kein Zweifel. Der Kaiser war Bob, den ich aus dem Flugzeug herauswerfen mußte. Und jetzt begriff ich auch, was mir Umstehende ins Ohr gebrüllt hatten: »Der Himmel hat ihn gesendet er ist vom Himmel gefallen Gott hat ihn direkt zu uns geschickt …« und ähnliche Redensarten.
Indessen schrie eine Stimme von der Kuppel durch ein Megaphon: »Kniet nieder, ihr Schweine, wenn euer Kaiser kniet!« Die Masse mußte sich aber begnügen, die Köpfe demütig zu senken, weil sie zu dicht stand, um die Knie beugen zu können.
Der Papst ließ nun die Krone einen Würdenträger halten. Holte aus seinem Gewand eine Flasche hervor und salbte des Kaisers Kopf. Salbte reichlich. Das heilige Öl floß dem Geweihten in den Hals. Der Kaiser bewegte die Lippen. Mir schien, er hätte »Sau« gesagt.
Auf der Flasche las ich das Etikett: »Mumm-Extra«.
Wenn mich nicht alles täuschte, so grinste der Papst bei dieser feierlichen Handlung. Jedenfalls bog er den Kopf zur Seite – und ich erkannte untrüglich Hein.
So traurig der Anlaß war, überfiel mich unwiderstehlicher Lachreiz, den ich in Husten erstickte. Derbe Rippenstöße waren die Belohnung.
Mit der Gewandtheit des alten Schiffers setzte Hein den Rest des Salböls an die Lippen und spülte ihn so rasch hinter die Gurgel, daß die Zeremonie um keine Sekunde unterbrochen wurde. Auch fand niemand was Ungehöriges daran.
Auf das verklebte Haar des Kaisers drückte der Papst nun die Krone mit erstaunlicher Wucht. Bob verlor fast das Gleichgewicht.
Der Papst schlug einige Kreuze über ihm und trat einige Schritte zurück.
Im Hintergrund sangen Engelschöre zur Melodie: »Hamburg ist ein schönes Städtchen, siehstewoll.« Da zu zuckten sie im Takt mit den Schultern, damit es aussehen sollte, als bewegten sich ihre Flügel. Diese Sache hatte Hein einstudiert; er wippte mit dem Zeigefinger und sang kräftig mit und ich sah, daß er sich eine Träne der Rührung aus dem Auge wischte, als es im Text hieß: »Darin gibt es schöne Mädchen, aber keine Jungfer mehr, siehstewoll.«
Der Kaiser, in ganzer Majestät, stieg zum Thron empor, riß seinen Säbel aus der Scheide, streckte ihn vor sich in die Luft, und stand wie ein Denkmal des blutrünstigen Kriegsgottes vor dem rotsamtenen Himmel.
Zugleich zogen die Generäle ihre Säbel und die Diplomaten ihre Galadegen, gingen in Ausfallstellung und blieben in dieser unbequemen Lage wie erstarrt.
Die hunderttausend Zuschauer tobten vor Begeisterung. Schrien wie irrsinnig Hurra, warfen alles, was ihnen in die Hände kam, in die Luft. Die Soldaten der Wehrbrigade schossen aus Maschinengewehren. Eini ge warfen im Überschwang Handgranaten und zerfetzten ihre eigenen Kameraden.
Doch kümmerte sich niemand um solche Kleinigkeiten.
Jetzt schwenkte der Kaiser dreimal den Säbel durch die Luft, als wollte er unsichtbare Feinde köpfen.
Man begriff. Er wollte reden.
Die Orgeln verstummten. Die Musikanten setzten die Trompeten ab. Einige erlitten sofort Schlaganfälle. Das Gebrüll brandete ab, verlor sich in schaurigen Echos im ungeheuren Gewölbe.
Man stellte vor den Kaiser ein Mikrophon, das mit Lautsprechern verbunden war. Und er hub an zu reden, indem er rechts das Schwert schwang und die Linke majestätisch in die Hüfte stemmte.
»Wir von Gottes Gnaden, Kaiser von Utopien. (Hurragebrüll, dann wieder Stille) führen euch herrlichen Zeiten entgegen, die ab heute beginnen: (Ungeheure Begeisterung. Die Fahnen werden geschwenkt. Schüs se krachen. Ein Kanzeldach, voll besetzt mit Zuschauern, stürzt in das Kirchenschiff.)
Wir werden die Starken schützen und die Schwachen zertreten! (Bravo! Bravo! Niemand merkt die Verwechselung. Aus Versehen berührt ein Organist die Tasten, die Orgel brummt auf. Scharfschützen schießen den Mann ab.)
Wer wider uns ist (die Linke zwirbelt an der Bartbinde. Kühn blitzt das Auge des Kaisers) … den zerschmettern wir!«
Bautz – bautz kracht es bei diesen markigen Worten aus den ehrwürdigen Feldschlangen. Der rechte Schuß reißt die Hälfte der Portalwand ein. Der linke
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