V wie Verrat
quietschenden Reifen wieder an.
Großer Gott. Sind die alle irre?
Nicht weit von mir stand eine Bank, auf die ich mich mit zitternden Knien fallen ließ.
Tief durchatmen. Das ist eben Italien. Und jetzt?
Langsam beruhigte ich mich wieder. Um mich herum herrschte immer noch das gleiche hektische Durcheinander, aber nach einer Weile verlor es seinen ersten Schrecken und ich begann, ansatzweise ein System im Chaos zu erkennen. Es war angenehm mild, bestimmt zwanzig Grad, allerdings zog sich der Himmel nach und nach mit drohend dunklen Wolken zu. Ich kramte den Zettel mit der Adresse, die Toni mir aufgeschrieben hatte, heraus und starrte ihn nachdenklich an.
Wie komme ich da am besten hin? Und hat es überhaupt einen Sinn, vor Einbruch der Dämmerung dort aufzutauchen?
Ein Taxi-Fahrer, der in betont gelangweilter Pose an seinem Wagen lehnte und jedem hübschen Mädchen hinter rief oder pfiff, bemerkte meinen unschlüssigen Blick und nahm mich ins Visier. Gerade als er sich vom Wagen abstieß und in meine Richtung schlenderte, tippte mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich drehte mich um und riss überrascht die Augen auf. Meine nette Stewardess, allerdings war sie ohne die Uniform wesentlich hübscher. Ihre langen Beine steckten in verwaschenen, hellen Jeans, dazu trug sie Stiefel und eine lässige Lederjacke. Die vorher aufgesteckten dunklen Haare fielen in vollen, weichen Locken auf ihre Schultern, nur gebändigt von einer auf den Kopf hochgeschobenen Sonnenbrille. Sie blitzte mich aus hellbraunen Augen fröhlich an.
»Na hallooo! Das ist ja ein netter Zufall. Werden Sie abgeholt?«
»Nein. Ich muss da hin.«
Ich wedelte mit dem Papier.
»Aber ich hab noch keinen Schimmer wie.«
Sie nahm mir das Blatt aus der Hand, warf einen kurzen Blick drauf und spitzte erstaunt die Lippen.
»Wow. Eine sehr schicke Gegend. Wohnt er da?«
Ich machte eine vage Geste und fragte: »Kennen Sie sich in Rom aus?«
Ihr helles Auflachen war herzlich und erfrischend.
»Amica, ich bin hier geboren. Wenn Sie wollen - ach komm , wir lassen das blöde Sie. Wenn du willst, kann ich dir helfen.«
Manchmal muss man auch Glück haben dürfen.
»Sehr sehr gerne.«
Zwinkernd fügte ich hinzu: »Beides. Auch das Du.«
»Schön. Ich bin Letizia. Aber nicht Casta. Und meine Freunde nennen mich Lea.«
»Freut mich sehr Lea. Ich heiße Anna.«
Ich nahm ihre dargebotene Hand, ihr Händedruck war fest und warm.
»Anna. Das passt zu dir. Na dann - bella Anna. Andiamo!«
Sie gab mir den Zettel zurück und marschierte auf meinen Taxi-Macho zu. Sein hocherfreuter, geldgeiler Blick wich deutlichem Frust, als sie in unglaublichen Tempo auf ihn einredete. Er hatte sich doch so auf zwei dumme Touristinnen gefreut, die er so richtig schön abzocken konnte. Und jetzt - eine Einheimische.
Lea fackelte nicht lange. Bevor er begriff, was passierte, hatte sie ihm ihren Koffer und meine Tasche in die Hand gedrückt und mich auf den Rücksitz geschubst. Er verstaute die Sachen im Kofferraum, seufzte genervt und raste los. Wäre Lea nicht dabei gewesen, wäre ich auf dieser Fahrt tausend Tode gestorben. Sein Fahrstil war, rasant - oder um es mit den Worten Lins auszudrücken: Er fuhr wie eine gesengte Sau! Aber Lea lehnte sich vollkommen entspannt zurück und fragte mich aus. Normalerweise wäre ich mit so einer Geschichte nicht rausgerückt, doch die Frau war mir so sympathisch, dass ich ihr fast alles erzählte. Den Vampir-Teil ließ ich natürlich weg. Als ich fertig war, glitzerten ihre Augen verdächtig feucht.
»Männer. Ich glaub's ja nicht. Weiß er denn nicht, was er an dir hat? So ein Dummkopf!«
Das Taxi stoppte und der Fahrer wandte sich zu uns, sagte auf italienisch etwas zu Lea, die theatralisch die Augen verdrehte und einen erneuten Wortschwall auf ihn abschoss. Er wurde lauter. Sie auch. Seinem nächsten Satz folgte ein anzügliches, schmieriges Grinsen, woraufhin Lea ihn mit Schimpfworten betitelte, die sogar ich kannte. Sie warf wütend ein paar Scheine nach vorne, zog mich aus dem Wagen und zerrte gerade noch das Gepäck aus dem Kofferraum, bevor er davon schoss.
»Was war das denn?«
Genervt schüttelte sie den Kopf.
»Dummheit gepaart mit italienischem Arschloch. Vergiss es einfach.«
Lachend sah ich mich um.
»Wo sind wir überhaupt?«
»Bei mir. Du willst dich doch bestimmt ein bisschen frisch machen, bevor du deinem Liebsten gegenübertrittst?«
Wie gesagt - manchmal muss man auch Glück haben dürfen.
Da ich
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