V wie Verrat
während der Fahrt nicht auf die Umgebung geachtet hatte, sah ich mich neugierig um. Das sah so gar nicht nach Millionenstadt aus, aber umso mehr nach Italien. In der schmalen Gasse drängten sich niedrige alte Häuschen dicht aneinander, manche von ihnen machten einen fast baufälligen Eindruck. Quer über die Straße spannten sich in Höhe des ersten Stockwerks eine Wäscheleine nach der anderen. Die typischen, klapprigen Holzläden waren fast überall geschlossen, Sonne oder nicht, das war egal. Aber trotz allem war es ein freundliches und lebendiges Bild, ich fühlte mich hier auf jeden Fall wohler als in der albtraumhaften Hektik zuvor. Lea ging auf eine der schmalen Holztüren zu und winkte mich hinterher.
Ich fragte noch mal: »Wo sind wir? Das gefällt mir hier.«
Sie strahlte mich an und sagte: »Das ist Trastevere, wir nennen es das Dorf. Schön, dass es dir gefällt. Ich wollte nirgendwo anders leben als hier. Wenn du später noch ein wenig Zeit hast, zeige ich es dir gerne.«
Als sie meinen kritischen Blick sah, sagte sie schnell: »Oder morgen.«
Dann lachte sie: »Oder beim nächsten Mal.«
Sie war wirklich ein Glücksgriff, ich konnte es noch gar nicht glauben.
»Kannst du mir mit dem Koffer helfen? Das Ding ist höllenschwer.«
Sofort packte ich mit zu und entschuldigte mich für meine Nachlässigkeit, aber sie winkte nur ab. Wir wuchteten das bestimmt Zentner wiegende Teil die zwei Stufen hinauf und durch die Tür.
»Was hast du da nur drin?«, ächzte ich.
»Die Leiche meines Ex«, kam es trocken zurück.
Ich muss sie so fassungslos angesehen haben, dass sie vor Lachen Schluckauf bekam.
»Anna. Anna. Du bist ne Nummer!«
Wieder ein Lachanfall, ständig unterbrochen von einem heftigem »Hicks«.
Ich boxte sie entrüstet leicht auf die Schulter und schloss die Tür hinter mir. Drinnen war es dunkel, kühl und roch etwas abgestanden. Sie hatte sich wieder etwas beruhigt, hickste nur noch leise und begann Läden und Fenster zu öffnen.
Der Raum war relativ schmal, aber lang und öffnete sich im hinteren Teil um das Doppelte. Sonnengelbe Wände, bunte Bilder und ein wunderschöner Terracottaboden ließen ihn freundlich und einladend wirken. Auf den Anrichten und Regalen fanden sich wundervolle Figuren, Vasen und Gefäße, sicher von ihren Flügen mitgebrachte Souvenirs.
»Wow!«
Ich fuhr mit den Fingerspitzen über eine bauchige, traumhaft schön bemalte Karaffe. Lea beobachtete mich stolz lächelnd, ließ mir Zeit mich umzusehen. Sie hatte den Koffer und meine Tasche neben der Tür stehen lassen und verschwand nun im hinteren Teil des Zimmers.
»Espresso? Oder Wasser?« rief sie mir zu.
»Beides, wenn das geht?«
»Klar. Wenn du fertig mit Schauen bist, machs dir gemütlich.«
Im breiteren Teil hatte ein bequemes Sofa mit Tisch und zwei kleinen Sesseln Platz gefunden. Ich ließ mich in die Kissen fallen, merkte erst jetzt wie erledigt ich war.
Es ist schon fast vier, wann wird es hier wohl dunkel?
Der zweite Blick galt meinem Handy. Immer noch nichts. Das überraschte mich, soviel Disziplin hatte ich Andrew nicht zugetraut. Aber auch nichts von Viktor.
Lea kam mit einem Tablett zurück, stellte Tassen und Gläser auf dem Tisch ab und warf sich dann neben mir auf das Sofa.
»Geschafft! So, jetzt erzähl mal. Hast du schon einen Plan, was du machen willst?«
»Nein. Ich fahr da einfach hin. Dann sehen wir weiter.«
Sie verzog das Gesicht.
»Ganz schön mutig. Und wenn er nicht da ist? Oder nicht ...«
Abrupf brach sie ab.
»Nicht alleine. Sprich es ruhig aus. Nein, das glaube ich nicht.«
»Wieso kannst du so sicher sein? Männer sind doch alle gleich.«
Sie seufzte resigniert.
»Nein. Er nicht. Viktor nicht. Er ist anders.«
Nach einem prüfenden Blick schimmerte ein weicher Glanz in ihren Rehaugen.
»Ach du Glückliche. Ich beneide dich um diese Liebe. Und ich sag dir was: Du kriegst ihn zurück. Er wäre ein cretino, wenn er dich gehen ließe.«
Wir tranken den wirklich köstlichen Espresso und quatschten noch eine Weile, bis ich verstohlen auf die Uhr sah.
Sofort sprang sie auf und rief: »Ich bin so eine schlechte Gastgeberin! Komm, ich zeig dir das Bad.«
Sie schnappte sich meine Reisetasche, führte mich eine schmale, steile Treppe nach oben in ein kleines, aber sehr modern ausgestattetes Badezimmer. Nachdem sie mir alles gezeigt und Handtücher bereitgelegt hatte, ließ sie mich allein.
Das Gesicht im Spiegel sah mir müde und gestresst entgegen.
Das müssen
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