V wie Verrat
schon eine Stunde. Die Autokolonnen, die sich mit uns durch Rom quälten, waren endlos. Zu allem Übel hingen wir dann endgültig fest. Stau.
Endlich lichtete sich der Verkehr etwas und Lea konnte wieder Gas geben. Und das tat sie auch. Während sie weiter mit mir plauderte, fluchte sie immer wie der schlimmste Bauarbeiter, halb deutsch, halb italienisch.
»Wieso sprichst du eigentlich so gut deutsch?«, fragte ich sie.
»Meine Mama war Fremdenführerin und hat sich Hals über Kopf in einen deutschen Touristen verliebt. Sie haben nach vier Wochen geheiratet und er hat sie mit nach Deutschland genommen.«
»Wow.«
Sie lächelte bitter.
»Kurz danach wurde sie schwanger und es stellte sich heraus, dass nicht nur italienische Männer Arschlöcher sind. Er hat sie direkt nach der Geburt sitzen lassen.«
»Oh.«
Mir fehlten die Worte. Sie sah starr geradeaus, während sie weiter sprach.
»Sie war noch so jung. Sein bester Freund und dessen Frau haben uns damals aufgenommen, denn sie hat sie so sehr geschämt, dass sie nicht zurück nach Italien wollte.«
»Oh Gott. Das tut mir so leid.«
»Das muss es nicht. Er hat seine Strafe bekommen.«
Ich wollte sie gerade erstaunt fragen, was sie damit meinte, als sie mich anstupste und nach vorne deutete.
»Da ist es.«
Kurz zuvor waren wir einen Hügel hinauf gefahren und man merkte sofort, dass das eine »bessere« Wohngegend war. Die Häuser rückten weiter auseinander und in ihren Parkanlagen nach hinten. Schließlich waren sie von der Straße aus gar nicht mehr zu sehen. In der breiten, von Pappeln gesäumten Allee herrschte wenig Verkehr, nur ein paar Edellimousinen mit schützend dunkel getönten Scheiben glitten an uns vorbei. Sie stoppte in der Nähe des weit offenen Tors und machte den Motor aus.
»Und jetzt?«
Ich versuchte durch die Bäume einen Blick auf das Haus zu erhaschen, aber es war stockdunkel, ich konnte nur entfernte Lichter erkennen.
»Jetzt? Jetzt geh ich da rein.«
Als ich Anstalten machte auszusteigen, zog sie mich am Ärmel wieder zurück.
»Unsinn. Wenn schon, denn schon. Wir fahren!«
»Aber?«
Doch da hatte sie den Wagen schon gestartet und in die geschwungene Auffahrt gelenkt. Mein Puls erreichte eine Frequenz, die nicht mehr gesund sein konnte. Langsam bekam ich Panik, was mich hier wohl erwarten würde. Wir bogen um die letzte Kurve in eine große, sich kreisförmig um einen Zierbrunnen ziehende Auffahrt.
Das war keine Villa, das war fast ein Schloss!
Mit vor Staunen offenem Mund starrte ich auf das riesige, hell erleuchtete Haus. Ein breite Steintreppe führte von der Auffahrt zu der meterhohen, zweiflügligen Tür, die ebenfalls sperrangel weit offen stand.Das Haus hätte einem Märchen entsprungen sein können, auf einer solchen Treppe hatte Cinderella ihren Schuh verloren. Zwei Männer in Arbeitsanzügen schleppten unter den lautstarken Anweisungen eines dritten in Butler-Livree gerade eine Skulptur nach oben, erst beim zweiten Hinsehen kapierte ich, dass sie aus Eis war. Drinnen war hektisches Gewusel erkennbar.
»Scheiße! Die feiern wohl ein Fest. Das hat mir noch gefehlt. Und nun?«
Der Butler hatte uns entdeckt und winkte uns weiter zu fahren, deutete ums Haus herum.
Als wir nicht sofort reagierten, klatschte er genervt in die Hände und sofort huschte ein Mädchen in Dienstbotenuniform herbei. Nach einer knappen Instruktion rannte sie die Treppe herunter, beugte sich zum Fenster und redete auf uns ein. Natürlich italienisch. Lea hörte kurz zu, nickte verstehend und fuhr wieder an.
»Was machst du denn?«
Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu.
»Wir sind auf jeden Fall schon mal drin. Die denken, wir gehören zum Catering Personal.«
Auf meinen verständnislosen Blick sagte sie nur: »Kellnerinnen.«
Auf der Rückseite des wundervollen, alten Hauses standen mehrere Lieferwagen, aus denen alles Mögliche ausgeladen wurde. Wir wurden in eine Lücke dirigiert, und bevor ich zum Protestieren kam, waren wir durch den Hintereingang im Haus. Das Mädchen kam uns entgegen, führte uns in einen kleinen Raum und gab uns jeder, nachdem sie uns kurz gemustert hatte, aus einem Schrank einen Bündel Kleider in die Hand.
»Lea. Das ist doch Quatsch.«
Sie nickte energisch.
»Doch, das ist genau richtig. An dem Drachen kommen wir nie im Leben vorbei. Hast du den genervten Bruce-Blick gesehen? Wir stehen schließlich nicht auf der Gästeliste. So können wir uns ganz in Ruhe umsehen und finden deinen Liebsten
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