V wie Verrat
schneller.«
Ruckzuck hatte sie sich umgezogen, stand nun in einem langen, schwarzem Rock, schwarzer Bluse und einem weißen Schürzchen vor mir. Das Mädchen kam wieder herein, sah, dass ich noch nicht fertig war und verdrehte theatralisch die Augen. Plapperte wieder auf mich ein, drückte mir zwei Haargummis in die Hand. Ich drehte mich hilfesuchend zu Lea um und die schob sie mit sanfter Gewalt wieder hinaus. Während sie sich die Haare hochband, sah sie mich fragend an.
»Was denn jetzt? Kommst du mit? Oder soll ich ihn alleine suchen?«
Obwohl mir das Ganze nicht geheuer war, gab ich nach und zog mich schnell um. Die Kleine hatte ein gutes Augenmaß, die Sachen passten wie angegossen.
Wir gingen durch eine langen Flur, in dem der dickste, weicheste Teppich lag, auf den ich jemals meinen Fuß gesetzt hatte. Er endete an einer hohen Flügeltür. Wir öffneten sie vorsichtig einen Spalt und schoben uns hindurch.
Hatte ich beim Anblick des Hauses schon gestaunt, so blieb ich jetzt stehen, als habe mich der Blitz getroffen.
Das IST ein Schloss!
Wir standen in einem riesigen, leeren, hell erleuchteten Ballsaal. Es war der Traum jedes kleinen Mädchens, das sich jemals gewünscht hat, ihren Prinzen zu treffen. Alles, bis ins kleinste Detail stimmte. Die funkelnden, glitzernden Kronleuchter aus Kristall. Die monumentale, geschwungene Freitreppe. Die mit goldenen Kordeln gerafften, schweren Vorhänge, deren blutroter Samt sich in den Polstern der Stühle wiederholte. Die mit feinstem, schwarzen Mosaik umgrenzte Tanzfläche. Das noch unbesetzte Orchester am anderen Ende des Saals. Selbst Lea hatte es die Sprache verschlagen. Ihre Augen glänzten aufgeregt, wie es nur Frauenaugen bei der Aussicht auf Erfüllung ihrer geheimsten Sehnsüchte können.
Unser Mädchen hatte uns wieder gefunden und schubste uns unsanft durch die nächste Tür in die Küche. Dort waren die Vorbereitungen scheinbar fast abgeschlossen, denn auf den Arbeitsflächen stapelten sich Platten mit allen möglichen Leckereien. Irgendjemand drückte Lea und mir ein Tuch in die Hand und postierte uns vor einem Tisch mit einer Unmenge an Gläsern. Lea zwinkerte mir verschwörerisch zu und begann zu polieren, während sie sich unter gesenkten Augenlidern umsah. Ich fühlte mich wie eine Außerirdische zwischen all diesen italienisch plappernden Frauen. Immer wieder wurden Sachen hinausgetragen, auch unsere Gläser verschwanden nach und nach. Nach einer Weile erklangen die ersten Töne des Orchesters. Die Mädchen drängten sich vor der kleinen Glasscheibe der Küchentür zusammen und es war nur noch leises Seufzen zu hören. Lea schnappte mich an der Hand und zog mich blitzschnell aus einer anderen Tür in einen schmalen, langen, nur schwach beleuchteten Flur. Vorsichtig schlichen wir weiter, bis wir irgendwo vor uns Männerstimmen hörten. Wir blieben stehen, pressten uns eng an die Wand und sahen uns ratlos an.
Und jetzt?
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, flüsterte Lea: »Und jetzt?«
Die Stimmen kamen näher. Ich sah mich um.
»Hier! Komm schnell!«
Direkt neben uns war eine schmale, in der Wand versteckte Tapetentür.
Es war kein Griff zu sehen, also drückte ich sachte dagegen und atmete erleichtert auf, als sie sich tatsächlich öffnen ließ. Ich schlüpfte hindurch und blieb wie angewurzelt stehen.
Anna. Du bist so unglaublich dämlich.
Das ist eine ViP!
Was auch sonst? So viel geballte Schönheit war schon fast unerträglich. Das mussten Vampire sein, denn diese Perfektion konnte niemals menschlich sein.
Verdammt!!!
Erstens: Wie sollte ich das Lea beibringen?
Zweitens: Wenn wir keine Kellnerinnen mehr waren, waren wir als Menschen höchst verdächtig, denn wir standen nicht auf der Gästeliste - und sie konnten uns riechen.
Und drittens: ich hatte keine Ahnung, ob alle Vampire so »nett« waren wie meine. Und ich hatte absolut keine Lust, es zu testen.
Noch hatte mich niemand bemerkt, aber als ich den Rückzug antreten wollte, prallte ich gegen Lea, die sich direkt nach mir durch die Tür geschoben und sie hinter sich wieder geschlossen hatte. Sie sah sich entzückt nach allen Seiten um, drängelte sich an mir vorbei und streifte meine Hand ab, als ich versuchte, sie wieder zur Tür zu ziehen. Da ich möglichst wenig Aufmerksamkeit erregen wollte, gab ich es auf und hielt Ausschau nach Vik. Aber ich konnte ihn nirgendwo entdecken. Sie hatten das Licht gedämpft und auf der Tanzfläche drehten sich bestimmt zwei Dutzend
Weitere Kostenlose Bücher