V wie Viktor
beschreiben. Ich war nie zuvor jemandem begegnet, der eine derartige Ausstrahlung hatte. Sein ebenmäßiges, perfekt proportioniertes Gesicht mit einer geraden, nicht zu kleinen Nase und sinnlich geschwungenen Lippen wurde umrahmt von langen, glatten Haaren, die von seiner hohen Stirn wie schwarze Seide über die breiten Schultern flossen. Aber das Erstaunlichste, Faszinierendste waren seine großen Augen. Von dichten, dunklen Wimpern umrahmt, schienen sie die Farbe zu wechseln. Immer, wenn man dachte, sie erkennen zu können, änderte sie sich wieder. Wir starrten ihn mit offenem Mund an. Als sich die vollen Lippen zu einem Lächeln verzogen, begann es in meinem Bauch zu kribbeln.
Lin musste es ähnlich gehen, denn sie hatte mich losgelassen und sich ganz zu ihm gedreht. Er streckte ihr die Hand entgegen und sie ergriff sie, ohne zu zögern. Ein klitzekleiner Rest meines Verstandes schrie auf, aber da war es schon zu spät. Er zog sie nach oben und direkt in seine Arme. Blitzschnell drehte er sie herum, fasste sie um die Taille und presste sie an sich. Seine Augen glühten jetzt dunkelrot.
»Anna, Anna, Anna … Was hast du dir nur dabei gedacht? Um Hilfe zu rufen.«
Selbst diese drohenden Worte klangen mit seinem schwachen französischen Akzent und der Samtstimme wie eine Einladung. Ich sah hilflos zu, wie seine Zähne lang und spitz wurden. Er streifte Lins Haar zur Seite und entblößte ihren Hals. Sie hing in seinen Armen wie ein willenlose Puppe, auf einen leichten Druck neigte sie den Kopf zur Seite.
Bitte! Nicht! Oh mein Gott … Tu das nicht …
Seine Augen fixierten mich die ganze Zeit, während er langsam über ihren Hals leckte. Sie seufzte laut. Er öffnete den Mund und beugte sich über sie.
»Nein!!! Bitte!!!«
Ich schrie es panisch heraus, wollte aufspringen, aber meine Beine gehorchten mir nicht. Seine Lippen berührten ihre Haut, schmiegten sich zärtlich an ihren Hals und saugten sich an ihr fest. Lin schloss verzückt die Augen, das Kribbeln in meinem Bauch verstärkte sich. Er griff mit der freien Hand nach vorne, schob sie ganz langsam tief in ihre Jeans, unterbrach unseren Blickkontakt keine Sekunde. Sie stöhnte und ich zuckte zusammen, als ob er mich an dieser Stelle berührt hätte. Es war vollkommen paradox, aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Lins Stöhnen wurde lauter, sie bewegte unruhig ihr Becken, drängte seiner Hand entgegen. Zwischen meinen Beinen glühte es mittlerweile, mein Puls schnellte in die Höhe, gleichzeitig liefen mir Tränen übers Gesicht. Völlig überraschend ließ er sie los, schubste sie in meine Richtung und lachte böse auf. Ich konnte sie gerade noch auffangen und wieder landeten wir beide auf dem Hosenboden.
»Das war nur eine kleine Warnung liebste Anna. Und nun muss ich mich leider von der reizenden Gesellschaft verabschieden. Die Geschäfte …«
Er seufzte theatralisch und verdrehte die Augen, die wieder ihre »normale« Farbe angenommen hatten.
»Aber ich komme bald zurück. Versprochen! Au revoir mes chers!«
Und verschwand. Löste sich einfach auf.
Gleichzeitig erlosch das schwache Licht und wir saßen wieder im Halbdunkeln. Ich rappelte mich hoch, zog Lin Richtung Fenster und strich ihre Haare zur Seite. An ihrem Hals war ein winziger Kratzer erkennbar, sonst nichts. Keine Blut, keine sichtbaren Einstiche, auch mit den Fingerspitzen konnte ich nichts ertasten. Gott sei Dank! Plötzlich hatte ich Watte in den Knien, sie gaben einfach nach, ich schaffte es gerade noch auf die Bank. Lin schüttelte den Kopf und sah mich mit einem großen Fragezeichen in den Augen an.
»Anna?«
Meine Stimmbänder gehorchten mir noch nicht, es kam nur ein schwaches Krächzen heraus.
»Anna??? Was ist da gerade passiert?«
Dann senkte sie langsam den Blick und legte die Hand in einer seltsam beschützenden Geste auf ihren Schritt.
»Ich versteh das nicht …«
Ihre Stimme überschlug sich leicht, und als sie die Augen wieder auf mich richtete, flackerten die ersten Anzeichen einer Panik darin.
»Wer war das? Er hat gesagt, er kennt dich? Was hat er mit mir gemacht?«
Sie wurde immer schriller, lauter. Ich riss mich zusammen, streckte ihr die Hand entgegen.
»Liebes, komm her. Komm zu mir.«
Aber sie wich immer weiter zurück.
»Nein! Spar dir dein Liebes. Erst sagst du mir, was hier passiert ist.«
Was sollte ich ihr sagen? Dass er ein Vampir war. So wie Viktor und ihr geliebter Andrew. Dass er sie beinahe gebissen hätte. Dass sie froh sein
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