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V wie Viktor

V wie Viktor

Titel: V wie Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Schwarz
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konnte, noch am Leben zu sein. Sie war an der Wand gegenüber auf die Bank gesunken und ließ den Kopf hängen. Jetzt klang sie leise und verzweifelt.
    »Ich wollte, dass er es tut. Ich wollte wirklich, dass er ES tut. Oh mein Gott …«
    Aufschluchzend barg sie das Gesicht in den Händen, krümmte sich nach vorne, als ob sie Schmerzen hätte. Ich hätte aufstehen müssen, zu ihr gehen, sie tröstend in die Arme nehmen. Aber ich konnte nicht. Auch meine Kraft hatte irgendwann ein Ende.
    Meine Arme und Beine fühlten sich an wie Pudding, in meinem Hirn herrschte gähnende Leere. Apathisch blieb ich sitzen, lehnte mich an die Wand und schloss die Augen. Völlig irrationale Gedanken gingen mir durch den Kopf. An ein Kleid, das ich längst hätte, aus der Reinigung abholen müssen. An Rechnungen, die zwischenzeitlich fällig waren. An das Gemüse im Kühlschrank, das wahrscheinlich schon faulte.
    Drehe ich langsam durch?
    Aber auch dieser Gedanke war seltsam emotionslos, als ob ich über eine Fremde urteilen sollte. Irgendwann verlor ich das Zeitgefühl. Lins Schluchzen hatte aufgehört und eine wohltuende Stille senkte sich über mich.

9.
    Als ich die Augen wieder aufschlug, schien ein zartrosa Schimmer durch das Fenster. Es mussten Stunden vergangen sein, in denen ich einfach nur dagesessen hatte, meinem eigenen Herzschlag gelauscht hatte.
    Ob es sich so anfühlt, wenn man den Verstand verliert?
    Lin bewegte sich unruhig auf der Bank, seufzte und stöhnte. Was immer sie da gerade träumte, es hatte sicher mit ihm zu tun. Mit IHM! Ich brachte es noch nicht einmal fertig seinen Namen zu denken, geschweige denn, ihn auszusprechen. Als ob das was ändern würde.
    »Pierre.«
    Ich hatte es laut gesagt. Und die Welt war nicht untergegangen, drehte sich weiter. Ja, ich war sicher, das war Pierre! Eine Welle von Mitgefühl und Verständnis für Sasha flutete durch mein Herz. Wie hätte sie ihm jemals widerstehen können? Das war schlicht unmöglich, sie war damals so jung und so allein. Weiß der Himmel, was er mit ihr angestellt hatte, aber egal was es war, sie hatte nicht den Hauch einer Chance. Schon Viktor und Andrew, sogar Raphael waren unwiderstehlich, aber er — er war eine Liga für sich. Diese Mischung aus Schönheit und Stärke, Sanftheit und Männlichkeit ergab einen so reizvollen Kontrast. Seine weiche, die Ohren streichelnde Stimme. Aber vor allem diese Augen.
    Ich konnte mir gut vorstellen, dass Frauen deshalb bereit wären zu morden. Nur um von ihm angesehen, gesehen zu werden. Ihn dazu zu bewegen, seinen Blick auf sie zu richten, auf sie allein. Als er Lin in den Armen hielt und sie berührte, spürte ich dieses Gefühl auch. Heiße, brennende Eifersucht und für eine Sekunde den entsetzlichen Gedanken, dass die Schlampe ihn mir wegnehmen will.
    Das will sie ja auch!
    Entsetzt riss ich mich von diesem Irrsinn los und konzentrierte mich auf Viktors Gesicht. Stellte mir seine veilchenblauen Augen vor und tauchte darin ein. Sofort wurde der Druck auf meiner Brust etwas leichter, ich konnte wieder atmen.
    Draußen war es hell geworden. Es schien ein sehr sonniger Tag zu sein, die Strahlen drangen sogar durch die verdreckten Fenster und tauchten die Halle in weiches, dunstiges Licht. Lin regte sich wieder, sie rieb sich die Augen und gähnte herzhaft. Als sie sich aufsetzte und mich ansah, konnte ich an ihrer Mimik verfolgen, wie die Geschehnisse der Nacht nach und nach wieder in ihrem Kopf ankamen. Allerdings blieb die befürchtete Panik aus, stattdessen trat ein entschlossener Ausdruck in ihre Augen.
    »Anna. Wir müssen hier raus. So schnell wie möglich.«
    Wenn das so einfach wäre. Aber sie war schon aufgestanden und begann die Bank nochmal genau zu inspizieren, kroch fast darunter und rüttelte an jedem einzelnen Bein und jeder Strebe.
    »Hast du gehört, was ich gesagt habe? Los jetzt, beweg deinen Hintern hierher!«
    Eines der interessantesten Dinge für Psychofritzen ist sicher menschliches Verhalten in Extremsituationen und ich vermute, sie hätten mir auch erklären können, was hier gerade geschah. Wieso die kleine, zarte und eher ängstliche Lin plötzlich das Ruder übernahm. Und wieso ich, der Kontrollfreak, die es hasste, fremdbestimmt zu werden, das nur zu willig annahm und mich fügte.
    Also kniete ich mich neben sie und wartete auf weitere Kommandos. Sie schaute kurz nach hinten, nickte zufrieden und befahl: »Drück hier dagegen. Aber richtig fest!«
    Dann begann sie wie eine Irre an einem der

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