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Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haley Tanner
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und zu Mittag Sandwiches essen. Vaclav und seine Mutter waren sehr zufrieden mit diesem Plan. Vaclav würde eine Freundin bekommen, und zugleich würden sie für Lena etwas Schönes tun. Sie konnten nicht wissen, dass dieser Tag mit den vielen guten Dingen auch viele üble Dinge mit sich bringen würde. Auch nicht, dass die guten Dinge wie Chemikalien auf die üblen einwirken und sie verschlimmern würden und ebenso umgekehrt. Sie wussten nicht, dass Vaclav und Lena in die berühmte
Coney Island Sideshow
hineingehen und zum ersten Mal magische Tricks und Heather Holliday in ihrem goldenen Fransenbikini sehen würden. Sie konnten nicht wissen, dass dies der Anfang von allem sein würde.
    |87| Rasia bricht das Herz zuerst nur ein wenig und dann ganz
    Yekaterina führte Lena direkt zur Eingangstür von Vaclavs Haus, und Lena fühlte sich sehr unwohl und machte sich Sorgen, weil sie nicht wollte, dass ihre Tante sie dort zurückließ, aber sie wollte auch nicht, dass jemand die Tante sah, die noch ihr Make-up von der Arbeit trug. Leider gab es nichts, was Lena da tun konnte. Die Tante hielt sie fest am Handgelenk und etwas zu hoch in der Luft, sodass Lena ihren Körper verrenken musste, damit die Schulter ihr nicht wehtat. Und so standen sie da und klingelten. Sobald es läutete, hörte Lena, wie sich hinter der Tür jemand bewegte.
    Dort saßen Vaclav und seine Mutter auf der großen Couch, die Wohnung war geputzt, der Fernseher ausgeschaltet, und sie verheimlichten einander, wie aufgeregt sie waren. Beim Läuten standen Vaclav und seine Mutter auf, Vaclav, überwältigt von Aufregung und Nervosität, rannte in sein Zimmer und tat so, als brauchte er plötzlich etwas, weil er nicht den Anschein erwecken wollte, als hätte er nur dagesessen und auf Lena gewartet.
    Rasia öffnete die Tür und starrte Yekaterina an, die gerade zum zweiten Mal auf den Klingelknopf drücken wollte. Yekaterina hatte Haare, die dunkelbraun aus der Kopfhaut wuchsen, dann orange wurden und schließlich leuchtend weißblond. Ihr Haar war straff nach hinten in einen Pferdeschwanz zusammengebunden, der ganz oben am Kopf begann. Sie trug einen jener flauschig pinkfarbenen Trainingsanzüge, den alle jungen Mütter anhatten, was Rasia das Gefühl gab, als gäbe es da einen |88| Klub, dem sie nicht angehörte. An den Füßen hatte sie Stöckelschuhe mit hohen Pfennigabsätzen aus durchsichtigem Plastik. Alles auf ihrem Gesicht war aufgemalt, so als sei es vor dem Aufmalen geradezu leer gewesen: breite schwarze Augenbrauen, die nicht zu den Farbtönen ihrer Haare passten, dicke schwarze Lidstriche um die Augen herum und dicke pinkfarbene Konturenstriche um ihre Lippen und sogar eine dicke Linie, wo ihr Gesicht am Kiefer endete und nicht einfach in den Hals überging.
    Rasia schaute Yekaterina an, dann schaute sie Lena an, die Yekaterinas Hand umklammerte und erschrocken aussah, und das Herz brach ihr zuerst nur ein wenig, weil sie keine Tochter hatte, und gleich darauf brach es ganz wegen der Dinge, die sie über Lenas Lebensgeschichte gehört hatte, und wegen der Gerüchte über Yekaterinas Job. Und sie wollte das kleine Mädchen hochheben und ihr zu essen geben und sie halten und beschützen.
    »Guten Tag«, sagte die Tante auf Russisch.
    »Guten Tag, schön Sie kennenzulernen«, antwortete Rasia halb auf Englisch, halb auf Russisch.
    »Ich muss los. Ich hole sie am Abend ab«, sagte Lenas Tante.
    »Ja, natürlich«, sagte Rasia und war verlegen, weil ihr klarwurde, dass sie sich ausgemalt und erhofft hatte, dass Yekaterina sich hinsetzen würde und sie ihr Tee servieren könnte, der schon in der Küche zog, und weil sie erhofft hatte, Lena würde davoneilen, um mit Vaclav zu spielen, und sie und Yekaterina würden über Lena und Vaclav reden, über Elternschaft und das Viertel und darüber, wie schwierig es war, eine gute Kinderbetreuung nach der Schule zu finden, und wie schwierig, in diesem Land |89| zu leben, und sie beide würden ungleiche Freundinnen werden. Rasia war überrascht und beschämt, sich so schrecklich einsam zu fühlen. Das war schon einige Male passiert; Einsamkeit, die sich in einem Lebensmittelgeschäft oder im Bus an sie herangemacht und sie unvorbereitet erwischt hatte.
    »Auf Wiedersehen«, sagte Lenas Tante Yekaterina wieder auf Russisch und stöckelte mit ihren hohen Plastikschuhen auf dem zerbröckelnden, holprigen Bürgersteig davon, ohne ein Wort zu Lena zu sagen wie Auf Wiedersehen, oder Hab einen schönen Tag, oder Ich

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