Vaethyr: Die andere Welt
es gelang ihr nicht, wieder in die Realität einzutauchen.
»Ich gebe nur wieder, was Sapphire gesagt hat«, erwiderte sie. »Was bringt es denn, mich um Informationen zu bitten, wenn du sie mir dann nicht abnimmst?«
»Süße, ich meinte doch, dass sie Blödsinn erzählt, nicht du.«
»Ich weiß«, sagte Rosie schmallippig. »Und ich meinte, dass du keine Mutmaßungen anstellen solltest. Du kannst nicht wissen, ob sie nicht doch die Wahrheit sagt.«
»Also, Agentin Fox, irgendwelche anderen Neuigkeiten von jenseits der feindlichen Linien?«
»Das ist nicht fair, Sam!«, regte Rosie sich auf. »Ich erzähle deinem Vater nur ganz banale Sachen. Nichts, was zu Auseinandersetzungen führen könnte. Erwarte von mir nicht, dass ich für dich spioniere – das kommt nämlich überhaupt nicht infrage!«
»War ein Scherz«, sagte er sanft. »Ich weiß und ich entschuldige mich. Ich wollte doch nur wissen, wie es meinem Vater geht.«
»Tut mir leid.« Rosie schauderte und schlang ihre Arme um ihren Körper. »Dieser Ort macht mich heute ganz verrückt. Lawrence geht es gut, aber er macht einen fürchterlich angespannten Eindruck, was er aber, wie das seine Art ist, hinter würdevoller Zurückhaltung verbirgt. Es war wirklich gruselig, wie er und Sapphire mir die Albinitsteine aufzudrängen versuchten.«
Sam sah sie mit schiefem Kopf an. »Hast du sie angenommen? Ich weiß doch, wie gern du Glitzerschmuck magst.«
»Natürlich nicht! Lawrence wollte mich belohnen, aber ich will keine Dankbarkeit. Und was Sapphire und ihren Versuch betrifft, mich zu bestechen, damit ich ihr die Elfenwesen näherbringe …«
Sam atmete aus und lehnte sich zurück. »Diese rührselige Geschichte über Armut in Brasilien – die ist mir neu.«
»Wirklich? Sie schafft es jedes Mal, mich irgendwie ganz kirre zu machen. Und sieht mich dabei mit ihrem Machtblick an.«
»Mit was?«
»Du weißt schon, dieser herablassende Blick, der sagt: ›Ich bin hier der Boss, vergiss das bloß nicht.‹ Aber darunter machte sie einen wirklich verlorenen Eindruck. Überfordert, obwohl sie es zu verbergen versucht.«
»Das bedeutet nur, dass sie auch eines dieser Elfenwesen-Groupies ist«, meinte Sam mit zynischem Grinsen. »Ein sehr versiertes, aber dennoch ein Groupie – wie Faith und dein rothaariger Freund?«
»Wenn du es so ausdrücken musst«, stöhnte Rosie. »Wieso hab ich mich nur auf diese infernale Dreiecksbeziehung eingelassen? Lawrence verlangt von mir, dass ich über dich berichte, du möchtest, dass ich die beiden beobachte, und Sapphire versucht mir Geheimnisse über Lawrence zu entlocken! Für deine Familie bin ich nichts weiter als eine Mittlerin.
»Du könntest uns allesamt zum Teufel schicken.«
»Könnte ich.«
Sie sahen einander finster an und sie erkannte im grünblauen Schillern seiner Augen nur Feindseligkeit – als hätte er eine Maske abgenommen und den Dämon darunter offengelegt. Dann brach er den Blickkontakt ab. Ohne Vorwarnung gelangte der Besuchsraum auf langsame und verstörende Art zitternd wieder in die Realität zurück.
»Aber du wirst es nicht tun, oder?«, sagte Sam, halb flehend, halb feststellend. »Ich glaube, du findest zu viel Gefallen daran, Agentin Fox.«
Die Teilnehmer am Tanz der Tiere wirbelten kostümiert als Feuervögel, die einen chaotische Balztanz vollführten, über die Dorfwiese. Organisiert wurde er von Phyll und Comyn, die dazu nur Elfenwesen auswählten, ohne auf das Murren der Dorfbewohner einzugehen, die von elitärem Gehabe sprachen. In früheren Jahren hätte die Prozession hinauf zu Freias Krone und nach Elysium geführt. Da ihnen dies jetzt verwehrt war, mussten sie sich damit begnügen, einmal rund um Cloudcroft zu ziehen und dann wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren, dem in Schiefer und Granit gehaltenen Pub namens Green Man.
Jessica warf ihren Kopf in den Nacken und genoss die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Sie saß mit Faith – die kurz vor der Niederkunft stand – auf dem Rasen vor dem Pub und ihre Schultern berührten sich leicht. Auberon, Matthew und Alastair waren im Pub, um Getränke zu holen; Rosie und Lucas, Phyll und Comyn befanden sich irgendwo unter den kostümierten Tänzern.
Jedes Jahr um den ersten Mai wimmelte es in Cloudcroft von Besuchern, die wegen der alljährlichen Landwirtschaftsausstellung kamen. Comyn stellte mehrere Weiden für Zelte und Arenen zur Verfügung, in denen Rinder, Schafe und Pferde gezeigt, Turnierkämpfe abgehalten und
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