Vaethyr: Die andere Welt
verebben.
Befreiung. Den Göttern sei Dank.
Friede, wenn auch nur für ein paar Sekunden.
Sie hielten einander erschüttert und zitternd fest, gefangen in einem goldenen Augenblick, bevor die Realität wieder einsetzte. Sam seufzte: »O mein Gott, Rosie«, an ihrem Hals. Sie atmete mit offenem Mund, während das letzte Lustbeben verebbte. Einen Moment lang klammerte sie sich an ihn, dann fiel ihr ein, wo sie war.
O verdammt. Zum Teufel, was habe ich mir dabei gedacht?
Und schon nach wenigen Sekunden setzte mit kalter Klebrigkeit das Bedauern ein. Sie befanden sich in einer abscheulich würdelosen Position, sie mit gespreizten Beinen gegen einen Baumstamm gedrückt, er umwogt von ihrem Kleid wie von einer Meringue. Linkisch begannen sie sich voneinander zu lösen und ihre Kleider wieder in Ordnung zu bringen. Rosie versuchte mit feuchten Händen ihre zahlreichen Röcke glatt zu streichen.
Die vielen Querfalten würden sich nicht herausschütteln lassen. Heiß stieg ihr das Blut ins Gesicht und es war ihr unmöglich, Sam anzusehen. Ein Schreckensbild blitzte vor ihrem geistigen Auge auf: Sämtliche Hochzeitsgäste standen um sie herum und begannen langsam in die Hände zu klatschen – sie sah sich um, aber der Wald war verlassen. Schaudernd fragte sie sich, wie sie es verhindern konnte, mit ihm zu sprechen, und wie sie ihm entkommen sollte – vorzugsweise in einer Spalte im Erdboden.
»Geht’s dir gut!«, fragte er sie leise.
»Dem Kleid nicht«, schnauzte Rosie und schüttelte den Saum aus.
»Das geht schon. Nur ein paar Blätter –« Er strich über ihre Hüfte. »Mehr nicht.«
»Lass dass. Ich schaff das schon.«
Sie spürte sein Schweigen, während sie an ihrem Stoff herummachte. Dann sagte er: »Brenn mit mir durch, Rosie.«
»Was?« Sie richtete sich auf. Sam sah sie mit schief gelegtem Kopf an und seine Zunge berührte seine Oberlippe. Seine Augen funkelten und seine Haare waren ein stacheliges Durcheinander.
»Es ist mein Ernst. Komm schon. Ich habe ein Motorrad …«
»Wie unglaublich kitschig.«
»Ja, was soll’s.« Er schielte über seine Schulter, um den Fluchtweg anzudeuten. »Bitte lass uns einfach abhauen.«
Er kam auf sie zu, aber sie streckte ihre Hände aus, um ihn abzuwehren. »Mach dich nicht lächerlich. Ich muss zurück.«
»Zum Empfang?«
»Wohin sonst?« Sie setzte sich in Bewegung, aber er machte Anstalten mitzukommen. »Lauf mir nicht hinterher.«
»Geh nicht weg!« Sam hielt sie an der Schulter fest. Sie stieß seine Hand beiseite, blieb aber stehen aus Angst, er könnte ihr bis zum Saal folgen. Rosie stand unter Schock, sicherlich würde jeder, der sie zusammen sah, sehr genau wissen, was passiert war, und das wäre ein Weltuntergang.
»Was denkst du dir eigentlich, Sam? Glaubst du wirklich, ein Moment absoluten Wahnsinns reicht aus und ich bin bereit meine Ehe aufzugeben? Ich muss dafür sorgen, dass sie funktioniert!«
»O ja, sie funktioniert ja bereits so gut, dass du mich anspringst und praktisch bei lebendigem Leib verspeist. Worüber ich mich keinesfalls beklagen möchte, aber was sollte das?«
»Ich weiß es nicht!«
»Oh, ich schon«, sagte er verbissen. »Einseitig war das nicht, Rosie. Du hast was dabei empfunden.«
»Ekel und Abscheu.«
»Das ist ja mal ein Anfang«, meinte er. »Dann macht dich also Abscheu normalerweise so richtig heiß?«
Sie atmete mehrmals tief durch. Sie sah nur eine Möglichkeit, ihn loszuwerden: Sie musste eiskalt und grausam sein. Ansonsten gäbe er nie auf. »Hör zu, Sam, ich habe zu viel getrunken und war emotional überfordert. Es war eine reine Nervensache, mehr nicht. Es ist nichts passiert, okay? Nichts ist passiert.«
Er schob seine Hände in die Taschen. »Ja, gut, du kannst es ja versuchen und dir in die Tasche lügen –«
»Du bist austauschbar, es hätte jeder sein können«, zischte sie. »Ja, gut, ich hatte Panik und habe etwas unverzeihlich Dummes getan. Aber du warst nur – ein Körper.«
Jetzt wich er zurück. Er blickte zu Boden und sah sie dann wieder an. Mit düsterem Blick sagte er: »Das meinst du doch nicht ernst.«
»O doch. Du hattest kein Recht dazu, hierherzukommen und – Was verdammt soll ich denn sagen, damit du mich in Ruhe lässt?«
Sams Ausdruck wurde unnahbar, er zog sich von ihr zurück. Ein wenig ängstlich fragte sie sich, wie seine Rache aussehen mochte. Er fragte sie mit tonloser Stimme: »Wirst du jetzt tatsächlich gehen und das gute Eheweib spielen, nach dem, was wir getan
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