Vaethyr: Die andere Welt
haben?«
»Das werde ich.«
Und als sie sich diesmal von ihm entfernte, blieb er mit bleicher Miene stehen und ließ sie gehen.
Die Hochzeitsnacht verbrachte Rosie in einem Hotelbett und lauschte Alastairs Schnarchen. Für Sex war er nicht mehr in der Verfassung gewesen, worüber sie froh war. Sein harmloser und vertrauter Körper wirkte so leblos wie Schmalz, und sie hätte nicht darauf reagieren können, selbst wenn sie gewollt hätte. Und dafür hasste sie sich. Hätte er Sam an ihr gerochen, gemerkt, dass ein anderer Mann sich in sie ergossen hatte, auch noch nachdem sie sich in der Dusche halb ertränkt hatte?
Zufallsbilder des Tages blitzten grell vor ihr auf. Das Gespräch mit Lucas, als sie am Morgen ihre Fingernägel lackierte, das ruhige und sichere Gefühl, den richtigen Weg einzuschlagen – es schien Jahrhunderte her zu sein. Jessica und Auberon, die in glückseliger Umarmung miteinander tanzten. Tante Phyllida, die fröhlich mit den Schotten flirtete. Ihr Onkel Comyn, der alles und jeden beobachtete und wie ein Raubvogel über allem wachte.
Und nachdem sie völlig aus der Fassung gebracht wieder zum Empfang zurückgekehrt war … Die leuchtenden Gesichter ihrer Familie, besonders die von Matthew und Faith, die wie ein Kätzchen an seinem Arm hing … Rosie, die wie verrückt zurücklächelte, weil sie sich sicher war, ihr gerötetes Gesicht und die wirren Haare würden ihre Schuld verraten. Als sie in einem großen vergoldeten Spiegel ihr Konterfei erblickte, konnte sie kaum glauben, wie gefasst sie aussah. Sicherlich starrte ihr jemand anderes daraus entgegen.
Jedenfalls keine Braut, die gerade weggelaufen war und einen anderen Mann gevögelt hatte.
Das war eine Sache, die sie niemals jemandem würde beichten können, nicht einmal Mel. Es war so unfassbar, dass sie es getan hatte, und welcher Teufel sie dabei geritten hatte, war schon gar nicht zu begreifen.
Sam hatte recht. Ihre Ehe war ein hoffnungsloser Akt der Verzweiflung. Und sie hasste ihn dafür, dass er recht hatte.
Nein, Sam hatte nicht recht. Sie konnte sich ein Leben aufbauen und glücklich sein, nicht so wie Jon, der vom Unerreichbaren besessen war, und auch nicht wie Faith, mit ihrer fußabtretergleichen Hingabe. Offenen Auges, mit klarem Kopf würde sie die vernünftige Entscheidung treffen, in Harmonie mit der Menschenwelt zu leben. Wie konnte Sam sich anmaßen, ihr einreden zu wollen, das ginge nicht?
Alastair war zuverlässig, freundlich und treu. Er hatte das nicht verdient. Sam war – was? Ein gewaltiges Chaos. Er war nicht vertrauenswürdig und für Rosie gab es nichts Schlimmeres. Er hatte etwas Unredliches, einen Abgrund in seiner Seele. Die Wilders hatten alle dieses schwarze Loch in sich, Lawrence und Jon und Sam, und in jedem von ihnen nahm es interessanterweise eine andere Form an, aber es war in allen von ihnen.
Rosie kochte vor Wut. Sam konnte nicht einfach eine Karte mit Glückwünschen schicken, o nein; er konnte nicht mit Anstand eine Niederlage einstecken und sie in Ruhe lassen. Nein, er musste sich auf die Lauer legen und ihr Leben auf die schlimmstmögliche Weise sabotieren. Das war alles andere als liebenswürdig. Das war selbstsüchtig und destruktiv. Sam zog seine Existenzberechtigung daraus, ihr Leben zu zerstören und sich dann hämisch darüber zu freuen.
Dann richtete sie die Wut gegen sich selbst. Wenn Sam sich schandhaft benommen hatte, dann sie ebenso. Ich habe angefangen , sagte sie, nicht er. Ganz ehrlich. Ich wusste genau, was ich tat. Was ist das Schlimmste, was man an seinem eigenen Hochzeitstag tun kann, abgesehen davon, einen Verwandten niederzustechen? Was hat mich bloß dazu gebracht, loszustürmen und es zu tun?
»Du bist so gut, Rosie«, hörte sie Stimmen sagen. Selbst Jon hatte das gesagt. »Du bist ein Engel. «
Nein, bin ich nicht.
Ich bin gemein. Ich bin Abschaum .
Im Dunkeln betrachtete sie den Rücken ihres Ehemanns. Er schlief nichts ahnend und ohne zu wissen, was er da geheiratet hatte. Sie verzehrte sich vor Scham. Und fragte sich, ob es ihrer Mum genauso ergangen war, nachdem sie mit Lawrence geschlafen hatte?
Nein, das lässt sich nicht vergleichen. Es war ein Moment des Wahnsinns. Ein Fehler, und damit ist jetzt Schluss .
Doch als sie ihre Augen schloss, war es nicht Alastairs freundliches sommersprossiges Gesicht, das sie sah, als sie ihre Gelübde ablegten. Nein, sie sah nur Sam. Spürte nur seinen heißen Mund auf ihrem, den wunderbaren Druck seiner Hände und
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