Vaethyr: Die andere Welt
sich ein Gewitter ab. Verbittert sagte er: »Alastair mag aus Kummer oder Wut gehandelt haben, aber das entschuldigt seine Tat nicht. Die war ungeheuerlich. Vermutlich war er der Typ von Mann, der, wenn sie Kinder gehabt hätten, diese bei einem Sorgerechtsstreit an einen fernen Ort gebracht hätte, um sie und sich selbst im Auto zu vergasen.«
Sam verschlug es vor Entsetzen die Sprache.
»Ich weiß, dass sie nicht glücklich war«, fuhr Auberon fort. »Sie hat es mir gesagt. Schon vor der Hochzeit hatte ich den leisen Verdacht, dass sie es nur tat, um alle um sie herum zufriedenzustellen, nur nicht sich selbst, aber ich war zu feige, etwas zu sagen. Und, bei allen Göttern, ich wünschte, ich hätte gewusst, als was für ein unausgeglichenes Individuum Alastair sich erweisen würde. Ich gebe Rosie keine Schuld an dem, was passiert ist, natürlich nicht. Ich gebe nicht mal dir die Schuld. Nur eine Person ist verantwortlich für diese ruchlose Tat, die beinahe meine Familie zerstört hätte, und das ist Alastair selbst. Du jedoch …«
»Ich habe nie jemand anderem außer mir selbst die Schuld gegeben«, warf Sam eilig ein, »aber was immer ich auch getan habe, ich habe dieses Auto nicht gegen diesen Baum gefahren. Zumal ich wusste, dass es Rosies ganz besonderer Baum war.«
»Ich wollte sagen, dass du gar nicht so ein schlechter Kerl bist, Sam. Das hast du bewiesen, indem du über den Damm gingst. Nicht einmal ich war jemals auf der Frostbrücke. Was ihr beide getan habt, war unglaublich mutig.«
»Ich habe es für Rosie getan. Für sie würde ich bis ans Ende der Welt gehen und mich selbst in den Abyssus stürzen.«
»Ja, das ist angekommen.« Auberon wurde streng. »Die Leute halten mich für ein leichtes Opfer, aber das bin ich nicht. Wie gesagt, du bist kein schlechter Mann und wirst mit der Zeit vielleicht sogar richtig respektabel werden. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass du unverantwortlich gehandelt hast und mein Schwiegersohn tot ist. Ich denke, eine Periode der Besinnung wäre angebracht, was meinst du? Matthew ist noch immer nicht zurück. Wir müssen uns alle um unsere eigenen Familien kümmern. Rosie braucht Ruhe.«
»Sie möchten, dass ich mich von ihr fernhalte?«
»Ich möchte, dass du das Richtige tust«, sagte Auberon spitz. »Du wirst verstehen, dass es, nach allem, was passiert ist, kaum angemessen wäre, wenn du plötzlich Alastairs Stelle einnähmest. Das würde Rosie auch selbst nicht wollen.«
»Nein, nein«, sagte Sam und dabei lief ihm ein kalter Schauder über den Rücken. »Natürlich würde sie das nicht wollen.«
»Außerdem würden wir gern einige Zeit mit unserer Tochter verbringen – in friedlicher Atmosphäre, ohne weiteren Gefühlsaufruhr.
»Ich habe die Botschaft verstanden«, antwortete Sam. Streiten wäre nicht nur nutzlos, sondern auch würdelos. »Ich bleibe euch vom Leib. Es gibt ohnehin einiges, was ich regeln möchte.«
»Ich danke dir.«
»Darf ich Sie was zu Matthew fragen? Wussten Sie … von seiner Gestaltverwandlung?«
»Nein, das wusste ich nicht«, antwortete Auberon kopfschüttelnd. »Ich habe versucht, ein friedliches und harmonisches Leben zu führen, Sam. Doch jetzt muss ich entdecken, dass ich nicht nur auf der Erde gelebt, sondern meinen Kopf auch in ihr vergraben hatte. Genauso wenig wie ich sah, dass Rosie zutiefst unglücklich war, sah ich, dass Lucas allem Anschein nach das Lych-Licht des Torhüters von Lawrence geerbt hat.«
»Sie glauben also wirklich, dass er es hat?«
»Ich befürchte es. Narren wie Lawrence und ich versuchen die Welt anzuhalten, müssen dann aber entdecken, dass sie sich ohne uns weiterdreht.« Nach Auberons Besuch fand Sam keinen Schlaf mehr. Er brach zeitig auf und kehrte nach Stonegate zurück, bevor Rosie wach wurde. Er duschte in aller Ruhe, zog frische Kleider an und ordnete seine Gedanken. Er ging davon aus, dass Lucas’ Familie ihn am Vormittag im Krankenhaus besuchen würde. Am Nachmittag nahm er all seinen Mut zusammen und wanderte wieder hinunter nach Oakholme und dessen freundlich-gediegene Atmosphäre. Frost lag in der Luft und man ahnte bereits die heranziehenden Wolken.
Rosie saß in Jeans und einem cranberryroten Pullover im Schneidersitz auf der Wohnzimmercouch. Ihr frisch gewaschenes Haar fiel in seiner ganzen burgunderfarbenen Pracht, in die sich rosa- und goldfarbene Glanzlichter mischten, über ihre Schultern. Als sie aufblickte, schenkte sie ihm nur ein mattes, müdes Lächeln. Ihre
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