Vaethyr: Die andere Welt
Zeitgefühl. Sie wollte uns nicht verlassen.«
»Und obwohl ich mich so sehr bemüht habe, bist nun du derjenige, der sie gefunden hat, und nicht ich … denn obwohl die Tore offen waren, war ich nicht mutig genug, mir ein Paar Krücken zu grapschen und zu sagen, sei’s drum, ich komm mit euch.«
»Glaub mir, wir hatten ohne dich schon genug Probleme, Long Jon Silver. Und außerdem ist es egal.«
»Ja, da hast du recht.« Jon packte bestürzt Sams Arm. »Wie kann ich ihr gegenübertreten? Du weißt nämlich nicht alles. Schwör mir bei deinem Leben, Sam, dass du darüber kein Wort mehr verlierst, aber ich muss dir was von Sapphire erzählen …«
Als Jessica, Rosie und Auberon später wieder in Oakholme waren, holten sie endlich ihren dringend benötigten Schlaf nach. Überirdische Kraft hatte ihnen geholfen durchzuhalten, aber selbst Elfenwesen hatten ihre Grenzen. Sam war mitgekommen, um Rosie dabei zu unterstützen, ihren Eltern nahezubringen, was mit Matthew passiert war. Sie nahmen es mit betrübtem Stoizismus hin – auch dies schien Teil des gleichen Chaosmusters zu sein. Wenigstens war es durch Lucs Genesung einigermaßen erträglich geworden.
Rosie verschwand in ihr altes Schlafzimmer – ein Zimmer, das Sam zu wilden Spekulationen angeregt hatte, das er aber nie gesehen hatte. Er legte sich auf das große weiche Sofa im foxschen Wohnzimmer, überzeugt, dass er munter genug wäre, sich allem zu stellen, sollte ein feindlich gesinnter Matthew zurückkehren.
Doch als er plötzlich wach wurde, war es dunkel. Die Vorhänge waren nicht zugezogen und die Fenster hoben sich indigoblau schimmernd vor der Schwärze ab. Es war ein seltsames Gefühl, hier zu sein, wo er nicht hingehörte. Auberon und Jessica hatten ihn äußerst höflich behandelt – sie waren immer großzügig –, aber er spürte ihre Kühle und ihren Argwohn. Dass er zur Rettung Lucas’ beigetragen hatte – hatte ihn das in ihren Augen reingewaschen? War das überhaupt möglich? Toll, dachte er und legte sich dabei einen Handrücken an die Stirn. Da mache ich schamlos Rosies Ehe kaputt und versuche dann, mir die Gnade ihrer Familie zu erschleichen. Das macht keinen guten Eindruck. Und währenddessen wird Lucas, sofern mein Bruder ihn nicht mit Drogen abfüllt, von meinem Vater ins absolute Chaos gestürzt – kein Wunder, dass wir in diesem Haus so verdammt beliebt sind .
Und zu alledem kam dann noch Jons Beichte von vorhin. Wütend biss er in die Kuppe seines Daumens. Er konnte es noch immer nicht fassen. Das würde Sapphire noch leidtun. Sollte er herausfinden, dass sie sich auch Lucas gekrallt hatte, gäbe es keine Grube, die tief genug wäre, um sie darin zu vergraben.
Ein Schatten nahm Gestalt an und bewegte sich. In Sekundenschnelle war Sam auf den Füßen, sein Herz klopfte heftig. Eine Lampe ging flackernd an und Auberon stand ihm auf der anderen Seite des Kaminvorlegers gegenüber. »Du und ich, wir sollten uns mal unterhalten«, sagte er.
»Ja, äh – Mr Fox, sie haben mir aber einen schei… schönen Schrecken eingejagt. Ich hielt sie für – Matthew.«
Kopfschüttelnd erwiderte Auberon: »Ich habe nach ihm gesucht. Bin mit der Taschenlampe durch ganz Cloudcroft gelaufen. Hoffnungslos. Außerdem ist es bitterkalt geworden.«
»Das tut mir leid. Sie hätten mich wecken sollen. Ich hätte Ihnen geholfen.«
Auberon atmete aus und setzte sich auf eine Sessellehne. Der für gewöhnlich freundliche Mann wirkte im Halbdunkel fast so bedrohlich wie Lawrence. »Ich finde, du hast genug getan.«
Sam ließ mutlos die Hände sinken. »Sehen Sie – Sir – ich weiß, was Sie von mir denken müssen. Ich habe Rosies Leben zerstört.«
Auberons Gesicht verdüsterte sich. Er zitterte leicht. »Sie war eine verheiratete Frau. Hättest du nicht die Finger von ihr lassen können? Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?«
»Ich weiß, aber ich war verzweifelt – ich liebe sie mehr als mein Leben, ich liebe sie seit Jahren. Und sie war nicht glücklich. Glauben Sie, sie hätte mich überhaupt angeschaut, wenn sie mit Alastair rundum glücklich gewesen wäre?« Er senkte seine Stimme. »Sie kam zu mir, weil sie unglücklich war. Sie wollte ihn verlassen. Das ist der Grund, weshalb er das getan hat – nicht, weil sie mit mir geschlafen hat – Verzeihung –, sondern, weil sie nicht mehr zu ihm zurückwollte.«
Fast rechnete Sam damit, er würde nun ein Bajonett oder sonst eine alte Waffe ziehen, denn auf Auberons Gesicht zeichnete
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