Vaethyr: Die andere Welt
krächzte Lucas. »Kommt gar nicht infrage.«
»Hallo du«, sagte Rosie. Sie hielt Lucas’ Hand und sah ihn dabei unentwegt an. Er war blass und hatte Blutergüsse, aber das Lebenslicht war in seine Augen zurückgekehrt. Die Kraft seines Händedrucks erstaunte sie.
»Warum starrt ihr mich alle so an? Wie lange bin ich denn schon hier?«
»Ein paar Tage«, krächzte sie. »Wir dachten …« Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Erschrocken sagte Lucas: »Hör auf damit, Ro. Was ist nur los mit euch allen?«
»Du wärst fast gestorben, du Idiot.« Sie wischte sich die Augen ab. »Sie dachten, du seist hirntot. Ein verzeihlicher Irrtum.«
»Rosie!«, ermahnte ihre Mutter sie.
Lucas zog ein Gesicht und war ganz eindeutig Herr seiner Sinne. Stirnrunzelnd überlegte er: »Ich war am Abgrund … aber du und Sam, ihr habt mich zurückgebracht.«
Sein Blick suchte den von Rosie und hielt ihn fest. Sie hielt die Luft an. »Erinnerst du dich daran?«
»Irgendwie schon … ich war auf einem Baum … und dann kamst du, um mich zu holen.« Seine Augen wurden groß. »O mein Gott, der Eisriese …«
»Es ist alles gut. Estel sagte, es sei nur eine Statue.«
Sorge flackerte in seinem Blick, aber er widersprach nicht. »Das war wirklich ein höllischer Marsch, Ro. Ich dachte, ich hätte es geträumt, aber – du trägst ja noch immer dieselben Kleider.«
Sie sah an sich hinunter und stellte dabei fest, in was für einem entsetzlichen Zustand sie und Sam waren: voller Schnittwunden, Blutergüsse, schmutzig und mit zerrissenen Jeans. Bevor sie hergekommen waren, hatten sie nur ihre Gesichter von Blut und Schmutz befreit. Kein Wunder, dass die Leute sie angestarrt hatten. »Es war kein Traum«, sagte sie und drückte seine Hand. »Als wir zum Lych-Tor kamen, warst du plötzlich verschwunden. Ich dachte, alles sei umsonst gewesen.«
»Ich versuchte euch zu folgen, aber alles wurde dunkel. Ich hatte solche Angst, noch immer im Auto zu sein. Dann weiß ich erst wieder, dass ich hier war, man mir einen Schlauch aus dem Hals riss und alle mich anstarrten, als wäre ich gerade aus einer fliegenden Untertasse herausgefallen.«
»Deine Essenz verband sich natürlich auf direktem Weg mit deinem Körper«, sagte Rosie. »Was bin ich nur für ein Trottel! Das hätte mir klar sein müssen.«
»Worum geht es?«, fragte Jessica, ohne dabei Luc aus den Augen zu lassen. »Wo bist du gewesen, Rosie? Wir waren völlig aufgelöst und versuchten dich und Matt zu erreichen. Bron ging nach Hause, um nach dir zu suchen, und fand das hier …« Sie zog eine zerknitterte Notiz heraus. »Da steht was von ›Überraschende Reise, wissen nicht wie lang, macht euch keine Sorgen!‹ Was sollten wir denn damit anfangen?«
»Es tut mir leid, Mum.« Mehr konnte Rosie nicht sagen. Sie rechnete nicht damit, dass man ihr glaubte, und sie wollte keine Anerkennung. Der Albtraum war vorbei. Jetzt wollte sie nur noch schlafen.
Lucas räusperte sich und sagte schlicht: »Sie und Sam sind mir in die Spirale gefolgt, um mich zurückzuholen.«
Das pure Erstaunen, das sich in den Gesichtern ihrer erschöpften Eltern spiegelte, ließ sie wie Kinder aussehen. Rosies Augen fingen wieder zu brennen an. In dieser Position war sie noch nie gewesen: Sie wusste mehr, als sie wussten, hatte ein elfisches Abenteuer erlebt, das von ihnen nicht bewilligt worden war und das sie sich wohl auch nicht vorstellen konnten. »Sie haben was ?«, meldete sich Auberon zu Wort. »Das müsst ihr mir bitte erklären.«
Sam erzählte ihnen das meiste und so lapidar, wie es ihm möglich war, mit gelegentlichen Einwürfen von Lucas oder Rosie. Jessica saß mit tränenüberströmtem Gesicht da. Am Ende kam sie zu Rosie und schloss sie in ihre Arme. Rosie war das peinlich, sie wollte keine Umarmung aus Dankbarkeit, die sie nicht verdient hatte. »Nicht doch, Mum. Wenn ich nicht gewesen wäre, wäre Luc gar nicht in diese Lage gekommen. Außerdem waren es deine Lieder, die mir diesen Hinweis gaben, du weißt schon, die, in denen es um die Rückkehr zum Ursprung geht.«
»Ich habe diese Lieder seit Jahren nicht mehr gesungen«, murmelte Jess.
»Und trotzdem habe ich sie immer gehört. Hör zu, Dad, wir finden, dass Lawrence davon nichts erfahren sollte. Jedenfalls nicht im Moment.«
Nachdenklich stützte ihr Vater sein Kinn auf die Hand und strich sich mit den Fingern den Bart glatt. »Ich weiß, dass Lawrence seine Macht verloren hat, er hat es mir selbst gesagt. Aber zu
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