Vaethyr: Die andere Welt
Dämonen
Am nächsten Morgen war Lucas auf dem Heimweg sehr schweigsam, aber es war kein freundliches Schweigen, sondern ein eisiges, verbissenes. Er bestand darauf, aufzubrechen, bevor alle anderen aufstanden. Rosie musste alles zweimal sagen, und wenn sie dann zu ihm durchgedrungen war, sah er sie mit umnebeltem Blick an.
»Was ist denn los mit dir?«, sagte sie. »Pflegst wohl noch immer deinen Kater?«
»Nein«, erwiderte er schroff und schob missmutig seine Hände in die Taschen. »Mir geht es gut.«
»Was hattest du denn mit Jon zu schaffen?« Sie vermochte kaum die Eifersucht aus ihrer Stimme herauszuhalten. »Wie besonders muss man denn sein, um sich seiner geheimen Clique anschließen zu dürfen?«
»Mein Gott, Rosie, bist du besessen? Es gibt wichtigere Dinge als die Frage, ob es dir gelingt, Jon aufzureißen!« Dieser Ausbruch erschreckte sie. Dann fragte er sie unvermittelt: »Findest du, dass ich ihm ähnlich sehe?«
»Jon?«, fragte sie verblüfft. »Nicht wirklich.«
»Habe ich irgendeine Ähnlichkeit mit Lawrence?«
»Nein. Warum solltest du auch?«
»Weil … letzte Nacht, ich …« Lucas blieb stehen, setzte sich auf einen Fels und rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Er seufzte und stammelte und dann brach die Geschichte aus ihm heraus. Rosie hörte sie sich ungläubig an. »Ich muss Mum fragen, ob das stimmt«, endete er gequält.
Sie starrte ihn an und ihr wurde schwindelig bei dieser Vorstellung. »Nein, das kann unmöglich sein.«
»Wieso sollte Lawrence mir dann so eine faustdicke Lüge auftischen?«
»Ich weiß es nicht! Aber überleg doch mal – du kannst Mum doch nicht fragen, ob sie eine Affäre hatte!«
Lucas sah sie verzweifelt an. »Nein, du hast recht, das kann ich nicht. Das ist zu furchtbar.«
Sie schwiegen, aber nach einiger Zeit meinte Rosie: »All diese seltsamen Andeutungen, die Sapphire letzte Nacht machte …« Sie starrten einander an.
»Nein. Wie konnte Sapphire es vor mir wissen? Das ist nicht fair. Aber das spräche dafür, dass es die Wahrheit ist.«
»Komm schon«, beruhigte sie ihn. »Vermutlich ist es nur ein Missverständnis.«
Sie zwängten sich durch die Hagedornbüsche in Oakholmes Garten, wo sie auf Jessica stießen, die die Vögel im weichen Morgensonnenschein mit Brotkrumen fütterte. Anmutig lief sie mit nackten Füßen in ihrem langen Rock umher, ihr Haar ein wirrer goldener Schleier. Sie winkte und rief ihnen zu, in die Küche zu kommen, wo sie gerade Kaffee einschenkte.
Als sie an dem großen Kieferntisch Platz nahmen, setzte Lucas sich dicht neben Rosie und verhielt sich ganz still, als erwartete er, dass ihm gleich jemand eine Erklärung abverlangen würde. Jessica sah ihre Tochter fragend an, die den Blick aber bloß ausdruckslos erwiderte. »Alles in Ordnung mit euch beiden?«, fragte Jessica. »War’s denn eine gute Party? Ist es spät geworden?«
»Es war seltsam«, erwiderte Rosie, als Lucas den Mund nicht aufmachte. »Was aber für die Wilders vermutlich ganz normal ist.«
Lucas stierte vor sich hin, während seine Finger seinen Kaffeebecher umschlossen. »Hat dir jemand was getan?«, erkundigte sich Jessica jetzt mit mehr Nachdruck. Dabei berührte sie sein Handgelenk, doch er entzog es ihr.
»Nein.« Er kaute auf seiner Unterlippe, seufzte und sagte: »Ich hatte bloß einen verrückten Traum.«
Rosie schlug das Herz bis zum Hals. Sie schüttelte den Kopf, aber er achtete nicht auf sie. »Ja.« Er sah seiner Mutter in die Augen. »Ich habe geträumt, ich sei Lawrence Wilder begegnet, und er hat mir erzählt, dass er mein Vater sei. Was war denn das für ein Traum?«
»Ein absolut lächerlicher«, sagte Rosie.
Jessica lachte. Bestürzung verdunkelte ihr Gesicht. »Ach, du meine Güte«, hauchte sie.
»Es war doch nur ein Traum oder, Mum?« Lucas sah sie eindringlich an. »Aber warum sollte er in einer Angelegenheit wie dieser lügen?«
»Ach, du mein Güte«, sagte Jessica wieder. »Erzähl weiter.«
Lucas beschrieb, dass er in die Küche hinuntergegangen und dort im Dunkeln einem Mann begegnet sei, dann von dem surrealen Gespräch. Langsam kehrte Farbe in sein Gesicht zurück und es brabbelte fast aus ihm heraus, so sehr erleichterte ihn dieses Geständnis. »Ich sag’s dir, es war wie in Star Wars : ›Ich bin dein Vater, Luke‹, nur ohne die Kostüme und das laute Schnaufen. Aber wieso sagt er so etwas? Ich begreif es nicht.«
»Dieser Mistkerl«, flüsterte Jessica. »Er hatte kein Recht dazu. Das hätte
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