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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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sagte Jon.
    »Na ja, es steht ja auch nicht hinter unserem Garten, sondern hinter eurem«, erwiderte Rosie. »Uns hat keiner was gesagt.«
    »Das war falsch.« Jon sah ihr direkt in die Augen. Und gegen ihren Willen fand sie seine Aufmerksamkeit erregend. »Alle Elfenwesen haben das Recht, hier ein und aus zu gehen. Stattdessen haben unsere Eltern uns im Dunkel lassen. Man hat uns betrogen. Sie hielten ihre Zeremonien im Geheimen ab – um uns dann, als wir alt genug für die Initiation waren, mitzuteilen, dass die Tore geschlossen sind.«
    Rosie nickte. Sie war jetzt wieder nüchtern, ihre Augen jedoch brannten vor Müdigkeit, und dennoch konnte sie sie nicht von ihm abwenden. Sie brauchte ihn nur kurz anzusehen und schon brachen all die schmerzhaften Gefühle wieder über sie herein. Als würde sie in das herrliche Herz des Lebens blicken und feststellen, dass es ihren Blick strahlend erwiderte. Das ist nicht gut, überlegte sie, ich bin noch immer nicht über ihn hinweg. Verdammt .
    Hatte er mit einem dieser Mädchen geschlafen, die um ihn herumschwänzelten? Wenn ja, warum nicht mit ihr? Ihre qualvollen Gedanken ließen sie erschaudern. Sie gab sich Mühe, nicht eifersüchtig auf ihren eigenen Bruder und dessen Nähe zu Jon zu werden, aber selbst das fiel ihr schwer. Das bittersüße Verlangen, an Lucs Stelle zu sein, geliebt und erwählt, vermochte sie nicht abzuschütteln, ebenso wenig die Qual, dass dem nicht so war.
    »Und du glaubst also, du könntest in Trance durch sie hindurchkommen?«, fragte sie.
    »Wir können das«, sagte Jon geheimnisvoll. »Wir haben es getan. Willst du es versuchen?«
    »Ist das nicht gefährlich?«
    Jon zog eine Grimasse. »Natürlich. Also?«
    »Was muss ich tun?«, fragte sie. Er und Luc tauschten Blicke.
    »Äh«, sagte Luc, »oh, wir meditieren, wie man das im Yoga macht. Du stellst dir vor, die Felsen öffnen sich und du kannst die andere Seite sehen. So in etwa.«
    »Grünes Elysium«, sagte Jon. »Sibeyla, das Luftreich. Naamons wilde Wüsten, die Seen Melusiels. Und Asru, das geheimnisvolle Herz.«
    Sie spürte die Dämmerungsbrise, sog den Duft des Farns ein. Sämtliche Sinne warnten sie, dass dies keine gute Idee war – aber es war ihre Chance, etwas mit Jon zu unternehmen. Befangen setzte sie sich im Schneidersitz vor die Felsen und schloss die Augen. Sie beschwor innere Bilder herauf …
    Den Jungen, mit dem sie geschlafen hatte, der am meisten Ähnlichkeit mit Jon hatte, es aber doch nicht war. Ein Projekt über Hybriden, das sie fertigstellen musste. Mit welcher Farbe sich Faith die Haare färben sollte. Ihren grummelnden Magen, meine Güte, war sie so hungrig, dass sie an nichts anderes denken konnte?
    Es gab doch eine tiefere Schicht der Selbstwahrnehmung oder die latent vorhandenen Kräfte, die ein Elfenwesen beherrschen können sollte. Die Felsen blieben fest. Sie versuchte in die Schattenreiche abzutauchen, aber die Felsen gaben bloß ein kratziges Surren wie ein atmosphärisches Rauschen von sich und vertrieben sie geradezu physisch. Sie kam sich so erdgebunden vor wie ein Mensch.
    Jemand lachte.
    Das Gefühl, dass man über sie lachte, sich über ihren naiven Wunsch zu helfen lustig machte, war wie ein heißer Stich und ließ sie innehalten. Sie öffnete die Augen. Jon und Luc saßen bei den anderen und keiner zog über sie her, sie wurde gar nicht beachtet, wie sie mit einem Seufzer der Erleichterung feststellte.
    Das Morgenlicht glänzte wie flüssiger Honig. Darin sah sie den von der aufgehenden Sonne golden umrahmten Jon, dessen Hände locker auf seinen Knien ruhten, das perfekte Profil mit seiner Haarpracht – noch nie hatte sie ihn schöner gefunden. Er sah aus wie ein Da-Vinci-Engel, rein wie Porzellan und unberührbar, das flüssige Dunkel seiner Augen hinter dem Schleier dichter Wimpern. Dieses Bild brannte sich in ihr Gedächtnis ein, erhaben und golden, und fast hätte der süße Schmerz sie zu Tränen gerührt. Ihr war klar, dass sie keinerlei Hoffnungen hegen durfte, und war doch machtlos gegen ihr Verlangen.
    Jon schlug die Augen auf und sah, dass sie ihn betrachtete. »Siehst du was?«, rief er ihr zu.
    »Nein, tut mir leid. Ich bin wohl zu müde.«
    »Keine Sorge. Du hast es wenigstens versucht«, sagte er und belohnte sie mit einem strahlenden Lächeln, das sie mit sonnengleicher Wärme übergoss. Fliegen hatte eine beruhigende Wirkung auf Lawrence: Das Dröhnen der Motoren und die unter ihm vorbeiziehenden Wolken erinnerten ihn an sein

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