Valentina 3 - Geheimnisvolle Verführung: Roman (German Edition)
aus. An den Wänden hängen Leinwände mit wilden, abstrakten Farbkompositionen. Am Tisch sitzt eine dürre Punkerin und mischt etwas Farbe an. Sie hat schwarze stachelige Haare und riesige Augen, die sie dick mit schwarzem Kajal umrandet hat. Ihre Haut ist so bleich, dass sie fast durchscheinend wirkt. Sie trägt ein zerrissenes T-Shirt und eine abgetragene, mit Farbe beschmierte Jeans sowie eine Kette, die sie mehrfach um den Hals geschlungen hat.
»Hallo, Lottie«, sagt das Mädchen, ohne von ihrer Palette aufzusehen.
»Hallo, Simone, wie geht’s dir?«
»Ganz okay.« Das Mädchen zuckt mit den Schultern und hebt den Blick. »Ein bisschen kalt.«
Als wollte sie ihre Worte unterstreichen, fängt sie an zu husten. Es ist kein harmloser Husten, sondern ein heftiges krampfartiges Keuchen, das minutenlang anhält. Die Art von Husten, die man von einem Arzt behandeln lassen sollte.
Die anderen machen kein großes Aufheben darum. Vielmehr zündet sich Hermann eine von Lotties mitgebrachten Zigaretten an, tritt ans Fenster und blickt auf die Straße hinunter.
»Das ist Tina«, stellt Lottie sie nun auch Simone vor. »Sie ist Fotografin.«
»Willst du ein Foto von mir machen?«, fragt Simone und sieht Tina derart traurig an, dass es Tina fast das Herz bricht.
»Klar«, sagt sie. »Sind das deine Bilder?«
»Ja«, antwortet Simone. »Ich versuche zu malen, weiß aber nicht, ob ich wirklich gut bin.«
»Deine Bilder sind großartig«, ermutigt Lottie sie. »Hör bloß nicht auf.«
»Das muss ich wahrscheinlich«, entgegnet Simone.
Tina hat ihre Kamera herausgeholt. Sie will diese beiden jungen Leute in ihrer heruntergekommenen Wohnung in Prenzlauer Berg unbedingt fotografieren. Offenbar ist es etwas deutlich anderes, ob man als Punk in Ostberlin oder im Westen lebt. Hier gilt das Punksein als Angriff auf den sozialistischen Staat. Diese jungen Menschen wehren sich dagegen, dass ihre Zukunft von der Wiege bis zum Grab verplant ist. Sie sind wahre Rebellen. Im Westen gibt es wenig, wogegen man rebellieren kann. Punk zu sein, ist dort mehr eine Mode als irgendetwas anderes.
Nachdem sie sich verabschiedet haben, schweigt Lottie auf dem Weg die Straße hinunter. In welchem Verhältnis steht sie zu Hermann und Simone? Sind die beiden anderen ein Paar? Hermann und Lottie haben sich zum Abschied auf den Mund geküsst, und Tina hat gespürt, wie sehr das Mädchen ihn mag. Bei Hermann ist sie sich umgekehrt nicht so sicher. Er scheint Lottie auch gernzuhaben, war aber irgendwie distanziert. Tina holt ihre Zigaretten heraus und bietet Lottie eine an.
»Wovon träumst du, Lottie?«, fragt Tina und gibt Lottie Feuer. Das Mädchen schüttelt den Kopf und bläst langsam den Rauch aus. Einen Augenblick verschwindet ihr Gesicht im Zigarettenqualm, Tina sieht nur ihre Lippen.
»Jedenfalls nicht vom Modeln«, erwidert Lottie, während sich die Rauchfahne langsam auflöst.
»Aber es ist gutes Geld. Du könntest um die Welt reisen.«
»Ja, aber ich würde lieber etwas Kreatives machen. So wie du.«
»Fotografieren ist für mich nur meine Arbeit.«
»Ich meine nicht die Hochglanzfotos im Studio, das ist nicht meine Welt. Aber mir gefällt es, dass du deine Aufnahmen draußen machst und immer neue Orte suchst. Ich fand es auch gut, dass du Fotos von Hermann, Simone und mir gemacht hast. Das war ausdrucksvoll. Ich drücke mich gern aus … ich versuche das durch die Musik.«
»Wärst du gern eine berühmte Musikerin?«, fragt Tina.
Lottie schüttelt den Kopf. »Nicht wirklich.«
Ihre Antwort überrascht Tina. Sie selbst wollte immer für ihre Arbeit anerkannt und geschätzt werden. Darauf hat sie stets hingearbeitet. Sie dachte, es würde sie befriedigen. Wenn sie ehrlich ist, hat sie aber noch immer das Gefühl, auf der Suche nach etwas zu sein. Obwohl sie einen Traumjob, einen netten Mann und ein Kind hat. Sie lebt in Mailand, in einer der coolsten Städte der Welt, in einer riesigen Wohnung, die einst ihren Eltern gehört hat, mitten in der Stadt. Sie kann es sich leisten zu tun, was sie will, und zu gehen, wohin sie will. Ihr Leben steht in krassem Gegensatz zu dem von Lotties Cousine. Sabine ist in ihrer Arbeit im Büro gefangen, lebt in einem Ostberliner Plattenbau und führt ein eintöniges graues Leben. Auch das Leben der rebellischen Punks in Prenzlauer Berg hat nichts mit dem von Tina zu tun.
Lottie lässt ihre Zigarette auf die Straße fallen und tritt sie mit dem Stiefel aus.
»Ich glaube, am allerliebsten
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