Valentina 3 - Geheimnisvolle Verführung: Roman (German Edition)
wirklich so viele Wohnungen von ganz normalen Bürgern ab?«, erkundigt sich Tina bei Lottie, als sie die Straße hinuntergehen und sich von dem Wohnblock entfernen.
»Anscheinend. Sabine ist allerdings auch ein bisschen paranoid. Andererseits ist ihr letzter Freund auch im Stasigefängnis gelandet.«
»Mein Gott, was hat er getan?«
»Man hat ihm vorgeworfen, Nachbarn bei der Flucht geholfen zu haben.«
»Und hatte Sabine etwas damit zu tun?«
»Sie hat mir erzählt, dass sie keine Ahnung hatte. Trotzdem ist sie verhört worden. Sie spricht nicht darüber. Sie sagt nur, dass jemand über ihn berichtet haben muss.«
»Informanten? Wie in Russland unter Stalin?«
»Laut Sabine ist das das größte Problem am Leben hier. Man kann niemandem wirklich trauen. Wenn einer etwas gegen dich hat, muss er den Behörden nur irgendeinen Mist erzählen.«
»Gott, da muss man ja neurotisch werden.«
Tina hat nie wirklich darüber nachgedacht, was für ein Glück sie hat, in einem Land zu wohnen, in dem sie keiner Zensur ausgesetzt ist. Wie viele ihrer Modeaufnahmen würde man als systemfeindlich einstufen? Sie hat bisher keinen Gedanken daran verschwendet, ob die Regierung Anstoß an ihren Fotografien nehmen könnte. Tina hatte immer das Gefühl, sich in ihrer Arbeit frei ausdrücken zu können.
Tina erlebte ihren Durchbruch als Fotografin mit gerade neunzehn Jahren in Mailand. 1968 gab sie ihr Debüt in der Vogue mit einer Fotostrecke, die von Jane Fonda in dem sexy Science-Fiction-Film Barbarella inspiriert war. Sie kleidete ihre Models in Paco Rabanne: in hautenge Catsuits aus Vinyl mit silbernem und weißem PVC sowie Aluminiumeinsätzen. Es brachte ihr Aufmerksamkeit und einen neuen Auftrag. Diesmal kleidete sie die Models in durchscheinendes Chiffon mit Straußenfedern von Yves Saint Laurent. Ehe sie sichs versah, war ihr Name in aller Munde. Tina Rosselli, die junge begabte Fotografin. Die Designer stellten ihr Stücke aus ihren Kollektionen zur Verfügung und beteuerten, sie sehe darin ebenso gut aus wie ihre Models, und sie hatten recht. Tina hatte die Figur für die Kleider jener Zeit, und die Frisur: Louise Brooks’ schwarzen Bob. Tina wurde zu jeder Modenschau eingeladen, zu jeder Vernissage und angesagten Party, nicht nur in Mailand, sondern auch nach Südfrankreich, Paris, Rom, London und New York. Sie wurde von zahllosen Männern umworben, doch sie wies sie ab. Im Grunde ihres Herzens war sie ein schüchternes katholisches Mädchen. Sie war so jung gewesen. Es war eine aufregende und berauschende Zeit, sie hatte ihre neue Freiheit und die Kreativität genossen. Zum Entsetzen ihrer Mutter war sie von zu Hause ausgezogen und teilte sich eine Wohnung mit ihrer besten Freundin Isabella, einer Modejournalistin. Sie hatten hart gearbeitet und noch mehr gefeiert. Durch Isabella hatte sie Phil kennengelernt. Sie hatte ihn nach Mailand zu einer Journalismus-Konferenz an der Universität eingeladen. Als Isabella unerwartet nach Verona aufbrechen musste, um einen weiteren Kongressteilnehmer abzuholen, hatte sie Tina gefragt, ob sie den englischen Professor mit ihrem Triumph abholen und in sein Hotel bringen könnte. Zunächst hatte Phil nicht viel Eindruck auf sie gemacht. Mit seinem englischen Tweed-Anzug kam er ihr altmodisch und verstaubt vor. Herrgott, er rauchte Pfeife! Wer unter dreißig rauchte schon Pfeife, es sei denn, es handelte sich um Marihuana?
Wie gewöhnlich war Tina zu schnell gefahren und hatte sich durch den Verkehr geschlängelt. Als sie vor dem Regency Hotel hielt, war Phil ganz grün im Gesicht gewesen. Doch noch am selben Abend hatte er sie angerufen und sie zum Abendessen eingeladen. Bis heute weiß Tina nicht, warum. Hatte ihm gefallen, wie sie Auto fuhr? Oder hatte er sie nur angerufen, weil er kein anderes Mädchen in Mailand kannte? Fast hätte sie ihn abgewiesen, er hatte so langweilig gewirkt. Doch irgendwie war sie neugierig auf Engländer gewesen, und um ehrlich zu sein, wollte sie auch mit ihrem Englisch angeben. Sobald sie sich zum Essen hingesetzt hatten, war etwas mit ihr geschehen. Sie vergaß das Essen und achtete nicht mehr darauf, was sie sich in den Mund schob, sie hing an Phils Lippen. Er wusste so viel über Kunst, Politik, Film, Kultur und Geschichte. Er erinnerte Tina an ihren Vater. Etwas an seinem langweiligen Akademikerstil, seiner Brille und seinem förmlichen Anzug gefiel ihr. Sie wollte seine ordentlichen Haare durcheinanderzausen, ihm die Brille von der Nase ziehen
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