Valentine
ihm das Kleingeld, das sich darin befand, geschätzte Ein-Euro-dreiundsiebzig.
»Vergelt’s Gott.« Der Mann tippte sich grüßend an die Stirn und trottete weiter. Maurice sah ihm kurz hinterher, dann sah er sich um, ob Valentine irgendwo zu sehen w ar .
Es gab keinen Plan. Dafür jede Menge Fragen, beispielsweise , ob sie ein Mensch war. Seit Geoffrey und Ryad ihn mit der Wirklichkeit paranormaler Wesen konfrontiert hatten, musterte er jeden misstrauisch, der ihm begegnete, insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit. Es gab kaum eindeutige Erkennungszeichen, außer ein Vampir zeigte Zähne fletschend seine langen Eckzähne, die ansonsten – in Zahnfleischtaschen versenkt – nicht auffälliger als die eines Menschen waren. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, wenn er an den gefangenen Vampir dachte, der wild und unberechenbar, aber auch seltsam unerschrocken und todesmutig gewirkt hatte , wie ein ungezähmtes Tier .
Angenommen , Valentine wäre kein Mensch, sondern ein Vampir oder ein Lycanthrop – was nicht weniger gefährliche Reißfänge bedeuten konnte –, dann wäre es verständlich, warum sie sich erst spät am Abend mit ihm treffen wollte. Verflixt, die Frauen. Ihre bloße Anwesenheit genügte , sein Gehirn auszuschalten. Er hätte ihr niemals hinterherrennen dürfen. Vielleicht war sie gefährlich wie der Gefangene …
»Bon soir.«
Der sanfte Klang der Frauenstimme riss seinen Kopf herum und stoppte seine Gedanken .
»Bon soir, Valentine«, stieß er erleichtert hervor , und sein Puls beschleunigte sich dramatisch. Wow, es war absolut richtig, sich mit ihr verabredet zu haben. Sein Blut jagte durch seine Adern, wie er es noch nie erlebt hatte. Und darauf hätte er verzichten sollen, auf diesen absoluten Kick? No risk, no fun. Im Zweifelsfall lieber ein kurzes Leben als gar kein Leben. Wenn Papa das wüsste. Ach was, die ganzen Berichte über Vampire und Co . hatten ihn paranoid werden lassen. Valentine war eine ganz normale Frau, mal abgesehen von der nicht normalen Uhrzeit , zu der sie bevorzugt unterwegs war. Aber vielleicht gab es dafür ja eine ganz banale Erklärung . Alles andere bildete er sich nur ein.
Impulsiv machte Maurice zwei Schritte auf Valentine zu, um sie zur Begrüßung auf die Wange zu küss en . Wen interessierte schon, warum sie zu spät dran war. Frauen halt. Wahrscheinlich hatte sie einfach zu lange vor dem Spiegel gestanden.
E rschrocken wich Valentine zurück und hob abwehrend die Hand.
»Entschuldige«, murmelte Maurice irritiert und hielt inne. Hoffentlich meinte sie nicht, er würde im nächsten Augenblick über sie herfallen. »Ich wollte dir nicht zu nahe treten.«
Sie zog eine Augenbraue hoch und fixierte ihn. »Sind wir schon beim Du?«
Hätte er ein Konzept gehabt, wäre dieses jetzt bereits zunichte gemacht. Diese Frau war äußerst verwirrend. So wie sie ihn ansah, schien ihr Blick sich direkt in sein Gehirn zu bohren und eine Lähmung auszulösen, die sein Denken blockierte. Mit Mühe brachte er einen Satz über die Lippen. »Ähm, ist das ein Problem, wenn wir uns d uzen?«
»Nein, nicht wirklich.« Ihre Miene entspannte sich . »Ich wüsste nur auch gerne davon.«
Maurice musterte sie unschlüssig. Er fühlte sich wie ein Volltrottel, da lächelte sie ihn fast schüchtern an und gab ihm das Gefühl, doch ein ganzer Mann zu sein.
»Schlagen wir beide jetzt hier Wurzeln, oder was machen wir?«
Maurice räusperte sich. Wäre nicht die fast maskulin wirkende Lederkleidung, hätte er behauptet, sie wäre eine richtige Dame. Ihre Körperhaltung, ihre Gestik, ihre Stimme – alles wirkte ein wenig zurückhaltend, aber nicht aufgesetzt, sondern als wäre dies ein Teil von ihr und vollkommen natürlich. Sie war jedenfalls nicht wie andere Frauen, so viel stand für ihn fest , und das machte sie besonders anziehend.
Da sie von Bars nicht viel zu halten schien, schied das aus. Ohne weiter n achzudenken , trat er neben sie und bot ihr seinen Arm an. »Darf ich Sie zu einer nächtlichen Sig ht se e ing -Tour durch eine der schönsten Städte der Welt einladen, Madame?«
Sie schaute ihn verdutzt von der Seite an, dann schmunzelte sie. Doch statt sich bei ihm einzuhängen, legte sie ihren Arm elegant auf seinen, wie Maurice es nur aus alten Kostümfilmen kannte. » Mit Vergnügen , Monsieur .«
Sein Gehirn schien völlig leer, so dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Er schluckte mehrmals, um seine Unsicherheit in den Griff zu kriegen. »Okay.
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