Valentine
mal erlebt ?«, fragte Maurice.
»Nein«, brummte Geoffrey. Er drehte das Radio lauter, um die Nachrichten zu hören. Die Erde hatte nicht nur im Großraum des Rheingrabens gebebt, auch andernorts hatte die Katastrophe zugeschlagen. Flüsse waren dabei über die Ufer getreten , und zwei neue Vulkane in Schottland und Ungarn, die bis vor wenigen Stunden auf keiner Landkarte verzeichnet gewesen waren, stieß en unablässig glühende Lavaströme hervor. Jegliches geologische Wissen wurde vollkommen auf den Kopf gestellt , und die Experten überschlugen sich in Interpretationen.
Offensichtlich war etwas dran an der Prophezeiung, von der Valentine gesprochen hatte. Ganz ernst genommen hatte Maurice diese Sache nicht. Nur halbherzig hatte er ihr zugehört, einfach nur, weil es schön war, sie dabei ungeniert anzusehen und jedes Detail ihres makellosen Gesichts zu studieren. U m sich mit Hirngespinsten wie Astrologie oder Wahrsagerei abzugeben, denn nichts anderes war die Prophezeiung in seinen Augen , dachte er viel zu rational Trotzdem musste er zugeben, dass sich zur z eit eine äußerst befremdliche und beunruhigende Entwicklung vollzog .
Kapitel 15
Es war ihr schwergefallen, sich von Maurice zu lösen, obwohl die Nacht noch lang war. Der Duft seines jungen Blutes stieg Valentine süß und verführerisch in die Nase und erinnerte sie mit schmerzhaftem Hunger daran, dass die abendliche Blutgabe zum Essen auf Dauer nicht reichte, um sich zu nähren. Zulange war sie nicht mehr bei einer virgo sanguinum gewesen, um sich an deren köstlichem Blut zu laben. Es hatte noch in dieser Nacht geschehen müssen, ehe die negativen Auswirkungen wie ungezügelter Bluthunger und Konzentrationsschwäche sich bemerkbar machten.
Schneller als sonst und ohne den üblichen Smalltalk hatte Valentine die Prozedur hinter sich gebracht und sich wieder verabschiedet. Sie fühlte sich unwohl dabei, denn für die virgines — jungfräuliche und keusch lebende Vampirinnen , die kleine , exquisit eingerichtete Pavillons im Tempelbezirk des Hüters bewohnten — waren sie und andere Auserwählte die einzigen Kontaktpersonen zur Welt draußen. Die göttlichen Jungfrauen schätzten es sehr, wenn man ihnen davon erzählte. Die virgines waren durchwegs gebildet, freundlich und wurden von ihrer Oberin den Vampiren zugeteilt, die sich an ihnen nähren durften. Ihr Blut war stärker und reiner als das von Menschen , sogar als das der anderen Vampire. In den Genuss dieser Gunst kamen nur vom Hüter Erwählte, die eine besondere Aufgabe für die Vampirgesellschaft zu erfüllen hatten.
Trotzdem wollte Valentine diesen Ort höchster Erhabenheit möglichst schnell wieder verlassen. Sie fühlte sich derzeit überhaupt nicht würdig, diese Blutgabe zu empfangen. Mehr als die Prophezeiung beschäftigten sie ihre Gefühle für Maurice.
Gerade als Valentine den Pavillon ihrer virgo verließ, lief sie dem Hüter in die Arme, der einzige Mann, der im heiligen Zentrum gemeinsam mit den virgines lebte. Wie es ihr persönlich gehe, wollte er wissen, und wie Frédéric und seiner Elfe Aliénor, vor allem aber , welche Fortschritte die Suche mache … Dabei war ihm als Allwissendem doch längst alles bekannt.
Ungeduldig beantwortete Valentine die Fragen des Hüters. Dieser verhielt sich wie gewohnt souverän und zurückhaltend und ließ sich nicht anmerken, ob ihm Valentines Verhalten missfiel und ob er etwas von ihren jüngsten Eskapaden wusste.
Dann endlich durfte sie sich transformieren. Es war die letzte Stunde vor Sonnenaufgang, als sie ihr Zuhause erreichte. Noch bevor Valentine die Schlossbibliothek betrat, spürte sie die Anwesenheit einer Person.
»Endlich!« Frédéric sprang von seinem Stuhl auf. »Wo warst du? Warum hast du nicht zurückgerufen?«
Valentine zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Schau auf dein Handy! Da ist ein Symbol auf dem Display, das blinkt, wenn Nachrichten hinterlassen wurden.«
Er klang verärgert. Auch wenn er sich Sorgen um ihre Sicherheit machte, sie war erwachsen. Unwillig holte sie ihr Telefon aus der Manteltasche, sah auf das Display und hob entschuldigend die Schultern. »Ich hab ’ s nicht gehört. Was war denn so wichtig?« Nachdem sie ihren Mantel über einen Stuhl gelegt hatte, setzte sie sich an ihren Platz.
»Wir haben uns in del Castello geirrt. Du hättest noch warten sollen, statt einfach zu verschwinden.«
»Aha.« Valentine rollte das Pergament auseinander, an dem sie zuletzt gearbeitet hatte , und
Weitere Kostenlose Bücher