Valentine
Dessert löffelte, ohne Appetit zu haben. Eigentlich sollte er seine Mutter aufsuchen, die sich, wie er mittlerweile wusste, im Elfenland aufhielt. Aber bevor Aliénor nicht zurück war, war an ein solches Treffen nicht zu denken. Was sollte er Maman sagen, wenn sie nach Aliénor fragte? Noch hatte sie keine Ahnung, welches Unglück geschehen war.
»In zehn Minuten fahren wir los«, bestimmte Frédéric unerwartet, wischte sich mit der Serviette den Mund ab und warf sie achtlos neben seinen Teller. »Ich erwarte dich unten.«
»Nach Köln?«, fragte Maurice ahnungsvoll.
»Wohin sonst«, erwiderte der Vampir voller Bitterkeit.
Frédéric jagte den Wagen ohne Beachtung der französischen Verkehrsvorschriften mit rund dreihundert Stundenkilometern über die Autobahn. Vermutlich hatte er eine Lösung parat, falls sie geblitzt oder angehalten würden. Maurice zog es vor, nicht zu fragen, um ihn nicht noch mehr zu reizen.
Es wollte ihm partout nicht einfallen, wann und wo er den verflixten Kristall zuletzt gesehen hatte. Frédéric setzte so viel Hoffnung in dieses Stück Mineral. Wenn der Kristall nun nicht magisch war oder derjenige erst noch gefunden werden musste, in dessen Hand er reagierte? Zu viele ungelöste Probleme und Fragen. Maurice ärgerte sich, seinen Kristall überhaupt erwähnt zu haben. Viel lieber würde er sich jetzt mit Valentine irgendwohin zurückziehen, diese frische aufregende Liebe leben und alles andere vergessen. Auch wenn dies sehr egoistisch war.
»Sei vorsichtig«, hatte sie beim Abschied gesagt und ihn traurig angesehen, als zöge er in den Krieg und als sei sein Leben in Gefahr. Aber was sollte ihm schon passieren, mit ihrem starken Bruder an seiner Seite. Neben ihm fühlte er sich wie nicht erwachsen, nicht ernst genommen, unbedeutend und so, als ob er grundsätzlich alles falsch machte. Verdammt! Er war auch ein Mann und durfte sich nicht von Frédérics Aura erdrücken lassen! Wo hatte sich der Kristall versteckt?
Die Fahrt und auch ihre Ankunft verlief en ohne Hindernisse. Einige Autos parkten in der Nähe, am Ende der Straße führte jemand seinen Hund vor dem Schlafengehen Gassi, ansonsten war alles ruhig. Maurice öffnete das Tor, damit Frédéric den Wagen auf das Grundstück fuhr. Vor der Garage befand sich ein ausreichend großer Stellplatz. Kaum im Haus, ließen sie zuerst überall die Jalousien her unter . Maurice hatte bei seiner Abreise die Fenster ganz bewusst offen gelassen, um nicht den Eindruck zu erwecken, das Haus wäre unbewohnt , und um keine Einbrecher an zu locken.
Stundenlang, bis in den Tag hinein, stellten sie das Haus gemeinsam auf den Kopf, durchsuchten jeden Winkel, den Frédéric schon allein überprüf t hatte. In Geoffreys kleinem Büro neben dem Wohnzimmer entdeckten sie abgeschlossene Schränke, die Frédéric ebenso mühelos knackte wie den Dokumentensafe, von dem Maurice gar nichts gewusst hatte . Außer Sparbüchern und Versicherungspolicen enthielt der Treso r diverse andere Schriftstücke, darunter auch die Papiere zu Aliénors Adoption.
Maurice be z weifelte, dass sie den Kristall jemals finden würden. Bis ihn die Erkenntnis, wo er sich befand, wie ein Schlag traf.
»Frédéric!«
Binnen Sekunden materialisierte sich der Vampir von irgendwoher aus dem Haus neben ihn. »Hast du ihn?«, fragte er erwartungsvoll.
»Fast. Mir ist wieder eingefallen, dass meine Mutter mir eine Schachtel mitgegeben hat, als ich nach Oxford ging. Ich habe nur kurz hineingesehen und fand damals, ich bräuchte das alles nicht. Kinderkram sozusagen.«
»Du hast sie doch nicht weggeworfen?« Frédérics Stimme grollte bedrohlich.
Aber beinahe. »Nein, sie müsste auf dem Schrank liegen. In meiner Bude in Oxford.«
»Bist du dir diesmal sicher?« Maurice nickte , und Frédéric stieß laut die Luft aus. »Puh. Beschreib mir alles, was ich wissen muss, um mich in dein Zimmer zu transferieren. Wo ist es, wem kann ich dort begegnen, alles.«
Das Warten bis zum Sonnenuntergang war unerträglich. Der Kühlschrank war leer, die Gefriertruhe im Keller bot keine Gerichte an, die einfach und schnell zu zubereiten w a ren. Schließlich rief Maurice beim Pizzaservice an und gab eine Bestellung auf. Zwei Maxi-Pizzen, zwei Cola, ein Salat, einmal Fleisch.
»Blut ist gerade ausverkauft«, erklärte er grinsend und hielt Frédéric seinen Arm hin. »Aber das kannst du von mir nehmen.« Irgendwie fühlte er sich dazu verpflichtet.
Der Vampir fletschte kurz die Zähne ,
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