Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
interessierte sich Ibolya nicht für Politik.
Ihre Kneipe war die einzige im Dorf, die einzige Schwemme im Umkreis von fünfundvierzig Kilometern. Es war ganz normal, Männer aus dem Umland, die über den Bordstein oder über einen der allgegenwärtigen Hunde gestolpert waren, vor der Kneipe liegen zu sehen. Seit dem Tag, an dem Ibolyas Mann beerdigt worden war, hatte das Lokal rund um die Uhr geöffnet. Nach der Beerdigung hatte sie den Trauergästen befohlen, zu ihr in die Kneipe zu kommen.
»Reißt die Eingangstür nieder.«
Die Männer zögerten.
Wutentbrannt ging sie auf sie los: »Reißt die Tür ein, hab ich gesagt. Und zwar sofort, sonst fackel ich die ganze Kneipe ab.«
Im Handumdrehen hatten die Männer, die hinter ihr standen, die Tür aus den Angeln gehoben.
»Jetzt die vordere Mauer, die, die zur Straße geht.«
»Warum willst du die niederreißen?«, versuchte ein Mutiger zu protestieren.
»Tut einfach, was ich sage«, gab sie zurück. »Das ist jetzt meine Kneipe und ich mach mit ihr, was ich will.«
»Aber das ist eine Stützmauer. Ohne die stürzt das Dach ein.«
Ibolya dachte kurz nach.
»Na gut, dann reißt sie zur Hälfte ab.«
Die Männer zuckten die Achseln und folgten ihren Anordnungen. Seitdem, seit dem Tag, als ihr Mann beerdigtworden war, fehlten die Tür und ein Teil der Mauer. Sie ließ ein Schild malen, auf dem NONSTOP stand, und im Winter stellte sie eine dicke Plastikplatte vor die Maueröffnung. Die Dorfbewohner hatten ihre erste Marketing-Kampagne erlebt. Diejenigen, die zufällig durchs Dorf kamen, konnten durch das gähnende Loch sehen, wer in der Kneipe saß. Oft entdeckten sie dort einen Freund oder Verwandten, der ihnen zurief: »Hey, setz dich doch zu uns. Wohin willst du so eilig?« Wer gerufen wurde, wollte natürlich nicht unhöflich sein und setzte sich immer eine Weile in die Kneipe – egal, ob er gerade ins Dorf gekommen war oder es eben verlassen wollte. Er bestellte etwas und trank, dann kamen weitere Männer vorbei, sahen ihre Freunde dort sitzen, setzten sich zu ihnen und bestellten etwas. So kam es, dass Ibolya immer Kundschaft hatte. Für Spät nachts und Frühmorgens hatte sie ein junges Mädchen eingestellt, aber die meiste Zeit schenkte Ibolya die Getränke aus und füllte die Bar auf. Ihr Mann hatte vor vielen Jahren ein paar Hektar Trauben gepflanzt, aus denen sie Unmengen hausgemachten Wein kelterte. Auch hatte sie mit einem ukrainischen Lastwagenfahrer ein Abkommen getroffen: Wenn er vorbeikam, traf sie ihn in einem geliehenen Diesellaster und lud Bier und billigen russischen Schnaps auf.
In ihrer Kneipe gab es keinen Fernseher, keine Musikanlage und keine Zeitungen. Die Unterhaltung bestand darin, dass sie gelegentlich einen umherziehenden Zigeuner zusammenschlugen oder sich gegenseitig verprügelten. Außerdem hofften sie, dass Ibolya jemandem aufs WC folgte, aber das kam ehrlich gesagt so gut wie nie vor, und seitdem sie dem Töpfer freudig eheliche Besuche abstattete, war es nie wieder passiert.
Die Kneipe sah billig aus. Sie war aus billigem Holz, das mit Zinderblöcken verstärkt war. Es roch nach Alkoholrülpsernund Zigarettenrauch und die Luft war zum Schneiden. Die Männer tranken und rauchten fast ununterbrochen, und falls sie doch einmal eine Pause einlegten, dann höchstens, um sich anzuschreien oder mit den Zähnen Eiswürfel zu knacken.
***
Wegen der Schäbigkeit und Hoffnungslosigkeit in Ibolyas Kneipe ging Valeria dort nie hin. Sie verabscheute dieses Lokal. Ihr kleiner Ausflug zum Töpfer war schließlich eine Ausnahme gewesen. Valeria wollte ein Gläschen trinken und damit nicht bis zu Hause warten. Sie versuchte sich den Töpfer mit Ibolya vorzustellen. Dabei wurde ihr ganz schlecht.
»Warum bin ich nur in die Kneipe gegangen?«, fragte sie sich. »Als der Bürgermeister sein Amt antrat, hätte er dafür sorgen sollen, dass sie die Tür wieder anbringt.«
Wegen Ibolyas Kneipe hatte sie den Bürgermeister bereits kontaktiert und darum gebeten, dass die Tür wieder eingehängt wurde. Sie hatte ihm sogar einen Brief geschrieben, und wie es der Zufall wollte, war sie damit auf offene Ohren gestoßen. Der Bürgermeister – der noch jünger war und bereits selbst ein paar Nächte in Ibolyas Kneipe gefeiert hatte – versuchte tatsächlich, Ibolya gut zuzureden, damit sie die Tür wieder anbrachte und die Mauer neu baute. Aber als er das Thema anschnitt, erntete er nur Spott.
»Wissen Sie eigentlich, was für
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