Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
Geschäftseinbußen das bedeutet?«, knurrte Ibolya.
Der Bürgermeister, ein Neuer Christdemokrat, antwortete: »Die Gemeinde stört das. Ich habe Klagen bekommen. Einen von den Briefen hab ich dabei.«
»Seien Sie kein Arschloch«, schoss Ibolya zurück. »Diese Kneipe ist geradezu ein Gemeindezentrum, entsinnen Sie sich nicht? Ich jedenfalls weiß noch, wie Sie immer hierhergekommensind und um Stimmen gebettelt haben. Haben Sie das schon vergessen? Ich meine, Sie kommen wieder.«
»Ibolya«, sagte der Bürgermeister energisch. Er ließ sich weder unterkriegen noch von ihrem Busen beeindrucken, den sie für ihn auf dem Tresen platziert hatte. »Bringen Sie eine Tür an, sonst lasse ich die Kneipe schließen. Wir haben jetzt andere Zeiten, das Land verändert sich. Glauben Sie, die Ausländer werden hier investieren, wenn sie unseren Schlendrian sehen? Die Deutschen gehen anderswo hin – vielleicht nach Rumänien. Ich versuche gerade, den Verkehrsminister dazu zu bringen, eine Eisenbahnlinie zu bauen. Wenn sie das hier sehen, werden wir zur Zielscheibe des Spotts. Dann nehmen sie uns überhaupt nicht mehr ernst.«
Ibolya lachte und rief, dass es alle Gäste hören konnten: »Hört euch diesen Idioten an! Habt ihr dieses Arschloch gehört? Habt ihr gehört, was er gesagt hat? Dass er die zurückgebliebene Zigeunerin hinter dem Baum gevögelt hat, ist ja noch nicht allzu lange her, oder?« Die Männer lachten und nickten. »Wie Hunde haben sie es die ganze Nacht getrieben, wisst ihr noch? Das ganze Dorf hat Sie gehört, Bürgermeister. Es war Ihr erstes Mal, wissen Sie noch? Sie war fünfzehn, stimmt’s? Mit dem Hirn einer Fünfjährigen. Hatte die Hände immer an ihrer Muschi. Also, hört mal alle her. Das Bürgermeisterarschloch ist erwachsen und völlig bekloppt. Er will Ibolyas Nonstop-Kneipe schließen, eure Kneipe, um den Verkehrsminister und die Deutschen nicht zu beleidigen. Als wären die Deutschen nicht selber beleidigend, sich selbst und anderen gegenüber.
Die Männer stöhnten und fluchten im Chor.
»Scheißt auf die Deutschen.«
»Scheißt auf die Franzosen.«
»Scheißt auf die EU.«
»Scheißt auf die Minister.«
Ibolya sah den Bürgermeister an. Er war rot im Gesichtund wich erschrocken zurück. »Das Volk hat gesprochen, Bürgermeister«, sagte sie. »Die Demokratie hat dir Antwort gegeben: Alle haben ihr Fett bekommen. Was sagst du jetzt, Arschloch? Weißt du, du bist nicht Chruschtschow und das hier ist nicht Moskau. Du solltest vorsichtig zu Werke gehen, sonst geht’s dir noch wie Ceausęscu. Wir haben jetzt andere Zeiten, da hast du recht, Bürgermeister. Der Wille des Volkes. Mal ehrlich, wenn die Kommunisten es nicht gewagt haben, die Kneipe zu schließen – Kommunisten, richtige Männer! –, was wollt ihr Schlappschwänze von christlich-kapitalistischen Spießgesellen dann ausrichten? Stopft euch eure Deutschen und eure Eisenbahnlinie sonstwo hin. Wir brauchen sie weiß Gott nicht.«
»Was halten Sie von einem Vorhang?«, sagte der Bürger meister einlenkend. Er wusste, wann er geschlagen war.
Ibolya schüttelte den Kopf und schenkte ihm einen Birnenschnaps ein.
»Kommt nicht in Frage«, seufzte sie. »Aber trinken Sie das, auf Kosten des Hauses.«
***
Für die Dorfbewohner war Ibolyas Kneipe ein Ort, wo sie Atem holen konnten. Wenn sie den ganzen Tag auf den Feldern geackert, Holz transportiert, mit dem Boden, den Geißen, den Kühen, den Schweinen und miteinander gekämpft hatten, nach so einem Tag mörderischer Arbeit war Ibolyas Kneipe der einzige Ort, an dem sich alles entschärf te , wo sie neue Kräfte sammelten. Ibolya schritt selten ein, der Bürgermeister konnte es nicht unterbinden, und Valeria wirkte nicht abschreckend genug. Es war stärker als sie. Wenn die Männer zusammen trinken wollten, dann hinderte sie nichts und niemand daran. Wenn die Frauen zu ihren Männern und Liebhabern und Freunden und geheimen Liebschaften wollten, dann konnte keiner etwas dagegentun. Ganz gleich, ob es Winter war, Frühling, Sommer oder Herbst, die Kneipe war ein Ort, wo man wieder jung wurde, so wie das große Gotteshaus am Sonntag, in das immer mehr Leute kamen. Doch im Unterschied zum sonntäglichen Gottesdienst, den die Kommunisten erfolgreich unterdrückt hatten, war die Kneipe immer voller Leben. Jeden Abend erholte sich die breite Masse in Ibolyas Kneipe. Von dort gingen sie alle trübäugig und mit zirrhotischer Leber nach Hause, jedoch gewillt, weiter zu kämpfen
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