Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
und sich weiter abzuplagen, zumindest bis zum nächsten Abend.
***
Der Bürgermeister lenkte also ein. Er hörte auf, mit Valerias Brief zu wedeln, und steckte ihn zurück in die Tasche. Was hätte er sonst tun sollen. Er hatte kein Interesse daran, einen Kampf auszufechten, den er nicht gewinnen konnte. Die Kneipe würde er den Männern vorerst nicht wegnehmen. Genau genommen hatte sie ihm Vorteile gebracht und er würde sie auch weiterhin gut gebrauchen können. Der Bürgermeister hatte Pläne, und zwar große. Er erzählte seiner Frau bei jeder Gelegenheit ausgiebig darüber. Wenn erst einmal das neue Hotel mitten im Dorf stand, würde Ibolyas Kneipe abgerissen werden. Bis dahin würde er mit ihr zusammenarbeiten und sie für sich benutzen.
Der Bürgermeister war ein sehr gefährlicher Mann. Er war ebenso charmant wie ehrgeizig, ein rühriger Opportunist.
Wenn er von der Arbeit nach Hause kam, ärgerte er sich oft über Bummelstreiks am Bahnhof oder über etwas im Büro.
»Diese Leute können die Zukunft nicht sehen«, beklagte er sich bei seiner Frau. »Sie kapieren einfach nicht, dass wir in einer neuen Zeit leben. Warum bekämpfen sie mich?«
Seine Frau zuckte die Achseln und massierte ihm die Schultern.
»Ein Adler im Hühnerhof hat es nicht leicht«, sagte sie.
»Ganz genau«, sagte er.
Die Dorfbewohner mochten ihn sehr. Er wirkte auf sie wie ein hochkultivierter Weltbürger. Er war weiter gereist als alle anderen im Dorf, angeblich als Beauftragter für Wirtschaftsentwicklung. Diese Reisen um die Welt – zu weit entfernten Zielen wie Auckland und Oslo – hatten nie ein Ergebnis gezeitigt, abgesehen von einem Vertrag mit einer dänischen Hundefutterfirma. Trotzdem war er von seinen Reisen immer freudig erregt zurückgekehrt. Auf all diesen Ausflügen hatte er seine Frau dabei, eine Sirene vom nördlichen Donauufer, eine gertenschlanke Füchsin, die die längsten und formvollendetsten Beine hatte, die die Dorfbewohner je zu Gesicht bekommen hatten. Von ihren Lustreisen mit dem Bürgermeister brachte sie tütenweise Schuhe und Parfums, Blusen und Schmuck mit, aus allen Einkaufszentren der Welt. Die Leuten waren begeistert. Sie strahlte immerhin Glamour aus.
Zwangsläufig stellte sich heraus, dass die Australier, Briten, Südafrikaner oder Brasilianer es sich immer in letzter Minute anders überlegten, und so verliefen die Fischzuchtbetriebe, Callcenter und Pharmafabriken im Sande. Daran war aber nicht der Bürgermeister schuld, wie die Dorfbewohner einmütig feststellten. Er hatte alles versucht. Schuld waren die Unzuverlässigkeit der verdammten Ausländer und der Wettbewerb aus dem Fernen Osten.
***
Der Bürgermeister hatte seine politische Laufbahn direkt nach dem Studium begonnen. Auf der Universität war er ein gewissenhafter, freimütiger Anhänger der Kommunistischen Partei gewesen. Er war ein sehr schlechter Student,aber als Parteimitglied, das radikale Studenten mit Feuereifer verpfiff, bekam er trotzdem nur die allerbesten Noten. Er wurde Bezirksadjunktengehilfe des Ministerialsubdirektors beim Innenministerium. Doch blieb ihm die Schrift an der Wand nicht verborgen. Als er sah, dass die Sozialisten sich nicht an der Macht halten konnten, als er die ersten Anzeichen der Demokratie vernahm, zog er eine große Show ab, die zeigen sollte, dass er für die Demokratie war. Er sprang auf Autos und warf Fensterscheiben ein. Er hielt Reden über die Reformen und hörte amerikanischen Rock and Roll. Und all das, weil er hoffte, die Neuen Demokraten würden ihm ein Amt geben, wenn sie an die Macht kamen. Doch seine Rechnung ging nicht auf. In seinem jugendlichen Eifer hatte er übertrieben. Er war aus der Partei ausgetreten, bevor die Parteiführer selbst die Möglichkeit dazu hatten und noch bevor sie bereit waren auszuscheiden. Der Bürgermeister war also isoliert. Seine verheißungsvolle Jugend war vorüber, und er saß in dem Dorf fest, wo er aufgewachsen war, und musste sich allein durchschlagen. Es dauerte eine Weile, bis er verstanden hatte, dass die Macht immer bei denen blieb, die sie bereits innehatten – außer man stellte sich international zur Schau.
Aber die Dörfler in Zivatar mochten ihn. Seit sechs Jahren war er nun schon Bürgermeister. Wie versprochen hatte er die Eisenbahn und das Hotel initiiert und er versuchte pausenlos, neue Projekte und Firmen hereinzuholen. Wenn er von seinen Auslandsreisen zurückkam und im Mercedes an dem Mauerloch vorbeifuhr, hupte er und seine
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