Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
fünf Jahren ist das Gebettel schlimmer geworden. Wenn ich könnte, würde ich sie alle in den Hintern treten, das wären die einzigen Berührungen, die sie von mir bekämen, ich schwör’s. Damit würd ich ihnen wahrscheinlich was Gutes tun.«
Ibolya musste unwillkürlich lachen. »Sie sind der interessanteste Schornsteinfeger, der mir je untergekommenist. Warum suchen Sie sich nicht eine andere Arbeit, wenn Ihnen die hier so zuwider ist? Warum probieren Sie nicht was Neues aus?«
Der Schornsteinfeger zuckte die Achseln, blickte Ibolya jedoch ernst an. »Komisch, dass Sie das sagen«, erwiderte er. »Ich will mich vielleicht tatsächlich hier niederlassen. Sozusagen in den Ruhestand treten. Der Ort ist nicht schlecht. Und wissen Sie, ich hätte hier eine Monopolstellung. Könnte einen geruhsamen Lebensabend verbringen. Nein, ich will keine andere Arbeit.«
Ibolya schüttelte den Kopf.
»Das ist ein verlockendes Angebot«, sagte sie. »Wir könn ten viel Geld zusammen verdienen. Aber ich habe schon jemand anders im Auge. Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich es ein bisschen romantisch möchte.«
Der Schornsteinfeger zuckte die Schultern.
»Und trotzdem ziehen Sie sich so an?«
»Damit das Bier sich besser verkauft.« »Das Bier verkauft sich ganz von selbst. Sie sind eine Exhibitionistin, weiter nichts.«
Ibolya dachte darüber nach. Sie hatte sich das noch nie überlegt, fand Exhibitionismus aber nicht schlimm.
»Vielleicht«, sagte sie.
Der Schornsteinfeger zuckte die Achseln und nahm einen kräftigen Schluck Bier.
»Niemand hat mehr etwas für uns Schornsteinfeger üb rig «, sagte er und setzte die Flasche ab. »Nur hier draußen auf dem Land ist es noch anders. Man hat uns auf die Dör fer verbannt. Können Sie sich vorstellen, was in der Stadt aus meinem Beruf geworden ist? In Budapest? Dort haben die Leute Gasheizung. Die Techniker kommen in Lastern voller Computer und Elektronik. Sie heißen jetzt Heizungs- und Klimagerätespezialisten. Ich bin ein Relikt aus der Vergangenheit, etwas Ungewöhnliches. Nur etwas nüt ze für die Hoffnungen verzweifelter Frauen auf dem Land und für die Kinder. Alles ändert sich wahrscheinlich. Aber wär es nicht schön, wenn es so bleiben würde? Ich fänd’s schön.« Der Schornsteinfeger trank noch einen Schluck. »Warten Sie es ab. Gazprom wird noch die ganze Welt beherrschen. Brrrrrr. Hoffentlich sterben sie alle an Kohlenmonoxidvergiftung.«
»Kohlenmonoxid?«, sagte Ibolya.
Der Schornsteinfeger nickte und tat abermals einen langen Zug aus seiner Flasche. Ibolya hatte eine Idee.
»Wo sind Sie untergebracht?«, fragte sie. »Wohnen Sie doch bei mir. Morgen können Sie es noch mal versuchen. Es gibt im Dorf jemanden, den Sie kennenlernen müssen. Ich habe den Eindruck, Sie brauchen nur die richtige Frau. Ich hab genau die Richtige für Sie. Eine alte Jungfer, hundsgemein. Sie sieht aus wie ein Bär, aber mein Gefühl sagt mir, dass sie Ihnen sofort aus der Hand frisst. Auch tun Sie mir damit einen großen Gefallen.«
»Ja, klar, das gefällt mir. Ich schlafe oben auf dem Hügel unter der Pappel. Ich geh meine Sachen holen.«
Durchs Fenster sah er draußen ein paar Kinder herumlungern. Er schüttelte den Kopf.
»Ich geh später«, sagte er. »Ich brauch noch ein Bier.«
III
W enn der Töpfer geglaubt hatte, es würde leicht, den beiden Frauen aus dem Weg zu gehen, so hatte er sich geirrt. Er sah beide dauernd. Schließlich war es ein kleines Dorf. Um sich aus dem Weg zu gehen, war nicht genug Platz. Leider ließ sich das nicht leugnen. Man musste allem ins Auge blicken, und am glücklichsten waren diejenigen, die sich dem eigenen Chaos sofort stellten.
Einige, zumeist aus der jüngeren Generation, beklagten sich über die fehlende Privatsphäre und den Mangel an Möglichkeiten. Dass sie den Mund halten und die Hände bei sich behalten sollten, behagte ihnen nicht. Sie wollten vögeln und darüber reden. Sie wollten jung sein. Sie wollten nicht bis ans Lebensende tagtäglich ihren Verflossenen in die Arme laufen. Die jungen Leute zogen deshalb oft in größere Städte oder gingen, wenn ihnen selbst ihr Land zu klein war, ins Ausland. Nichts konnte sie mehr aufhalten – weder Politik noch Nationalismus. Sie verteilten sich über ganz Europa und über die ganze Welt. Sie schlossen die Anonymität des Globalismus in die Arme.
Auch die Älteren mochten einmal so empfunden haben, doch hatte es sie nie so stark fortgezogen wie ihre Kinder. Ein wichtiger
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