Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
Ruhe. Sie hielt oft inne und dachte an die Worte des Bürgermeisters. Eine Muse. Sie fasste sich fest an den Hals und ließ die Hand wieder fallen. Auch er will nicht mehr allein sein, dachte sie. Sie zog an ihren Schlüsseln. Der Gedanke ließ sie erschauern. Sie hatte das Gefühl, dasser sie besonders mochte, und kam sich sogar stark vor. Dann sah sie den Töpfer. Als sie aus ihren Träumereien aufblickte, stand er genau da, wo sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Er kaufte wieder eine Tüte Pilze und brach die Hüte mit seinen starken, sich verjüngenden Fingern ab. Sie atmete kräftig, seufzte tief und ging zu ihm. Sie war bereit, ihm zu verzeihen, und lächelte. Er sah sie und lächelte ebenfalls.
»Guten Tag, meine Liebe. Wie geht es dir?«, fragte er und streckte die Hand nach ihr aus.
»Gut«, sagte sie leise und berührte ihn ebenfalls. Sie küssten sich auf die Wange und lächelten schüchtern. An den Ständen ringsum hielt alles inne. Die Marktfrauen und die Käufer verstummten und zeigten mit dem Finger auf Valeria und den Töpfer. Beide lächelten jetzt nervös.
»Bring sie fort, Töpfer«, rief eine Stimme. »Sie macht uns verrückt.«
Jemand lachte.
»Seid auf der Hut, sonst erwischt euch Ibolya«, rief jemand anders.
Valeria beachtete sie nicht. Der Töpfer wirkte betreten.
»Ich hab mit dem Bürgermeister gesprochen«, sagte sie. »Er sagt, du kommst gut voran mit deiner Statue.«
Der Töpfer wurde noch nervöser. Er räusperte sich und blickte umher, als hoffe er, den Bürgermeister irgendwo zu entdecken.
»Der Bürgermeister ist hier? Wunderbar! Ich muss gleich mit ihm sprechen. Ich hab jetzt keine Zeit, meine Liebe. Aber ich komm bald und bring dir die Vasen. Schön, dich zu sehen! Du siehst hübsch aus, wirklich sehr hübsch!«
Dann ging er weg. Er ließ die Tüte mit den Pilzen liegen und sie ließ er stehen. Sie kochte. Die Frauen ringsum kicherten.
»Sie sollten sich das Gesicht waschen«, sagte eine undschwenkte eine Flasche Reinigungscreme. »Ohne ein sauberes Gesicht können Sie keinen Mann halten, das sag ich Ihnen. Versuchen Sie es doch mal hiermit. Es ist nie zu spät! Und er ist immer noch interessiert, das sieht man.«
Valeria zuckte die Achseln und kaufte die Creme. Bald darauf ging sie nach Hause. Der ganze Markt seufzte auf vor Erleichterung.
***
Das Letzte, was der Töpfer geschaffen hatte, war eine kleine Frauenfigur, eine Miniaturausgabe dessen, was ihm für den Bahnhof vorschwebte. Das Modell hatte er dem Bürger meister nach Hause gebracht und seiner Frau geschenkt. Das Ehepaar bat ihn herein. Sie hatten die asiatischen Geschäftsleute eingeladen, und der Töpfer war Ehrengast.
Sie stellten ihn als Schöpfer hiesiger Volkskunst vor. Der Töpfer wusste nicht, wie er sich verhalten sollte, deshalb gab er sich kultiviert, oder was er dafür hielt. Er strich sich über den Schnurrbart. Er nickte und lächelte. Die Bürgermeisterfrau umgurrte ihn und zeigte ihren Gästen die Figurensammlung. Die Geschäftsleute staunten nicht schlecht, redeten und nickten. Alle wollten am nächsten Tag in seine Werkstatt kommen. Wie versprochen bestand die Bürgermeisterfrau darauf, dass sie ihren Frauen und Geliebten in Korea etwas mitbrachten. Die sechs Koreaner kauften stapelweise Teller und alle vorhandenen Keramikfigürchen. Es war wie ein warmer Geldregen. Der Töpfer lehrling kam in die Werkstatt, sah den lächelnden Töpfer und die leeren Regale, und bevor er einen Ton sagen konnte, umarmte ihn der Töpfer bereits.
»Dieses Glück hat uns der Schornsteinfeger gebracht«, sagte er zu seinem Lehrling. »Die Bürgermeisterfrau hat mir geraten, bei diesen Geschäftsleuten die Preise zu verdoppeln. Wir haben so viel Umsatz gemacht wie sonst infünf Monaten! Das ist der erfolgreichste Tag in meinem Töpferleben.«
***
Der Töpfer war noch glücklicher, als sein Lehrling es sich vorgestellt hatte. Das hatte nicht nur mit dem guten Umsatz zu tun. Er freute sich auch darüber, dass er der Bürger meisterfrau das Figürchen hatte schenken können, das Modell, nach dem er die Statue für den Bahnhof formen wollte. Er freute sich, weil er an jeder neuen Figur etwas anderes perfektioniert hatte. An der letzten hatte er endlich herausgefunden, wie sich Stoff mit Hilfe von Ton darstellen ließ. Er hatte einen perfekt plissierten Rock modelliert und eine Bluse mit einer Falte. Er hatte gelernt, Tiefe hinzuzufügen. Er formte nicht mehr einfach nur Ton, sondern war zum Bildhauer
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