Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
war Herr Toth, ein pensionierter Archivar für Kirchendokumente. Valeria stellte sich vor, dass es schön sein könnte, sich mit so jemandem zu unterhalten. Mit jemandem, der ein wenig kultiviert war. Als er näher kam, lächelte sie ihn stumm an und blieb sogar stehen. Sie wollte ihn fragen, ob er je etwas Interessantes in den Kirchenregistern gefunden hatte. Sie stand da, lächelte ihn an und ihre Körpersprache signalisierte Interesse. Genau wie früher, als ich jung war, dachte sie. Sie erinnerte sich, dass die jungen Männer sofort stehen blieben, um mit ihr zu reden. Dass sie kaum etwas tun musste. Bei der Vorstellung wurde Valeria munter, aber diesmal klappte es nicht. Herr Toth sah entsetzt aus. Er ging schnell über die Straße und drehte sich immer wieder um. Sie konnte ihm nicht einmal guten Tag sagen.
Das schmerzte sie und sie sann über ihr bisheriges Leben nach. Über ein langes Leben ohne große Ereignisse. Das ruhige, lange, ereignislose Leben, das sie achtundsechzig Jahre geführt hatte. Es war ein Wunder, dass sie danach nicht zusammenbrach und über ihrem Kuchen zu weinen anfing.
»So, das reicht jetzt«, sagte sie.
Sie beschloss, mit allen zu plaudern. Am Anfang war sieunbeholfen und die Gespräche waren steif. Sie ging in eines der neuen Konfektionsgeschäfte und sah sich einen Ständer mit neuen Kleidern an. Als sie ein paar junge Frauen sah, nahm sie einen Pullover und hielt ihn sich über die Brust. Dann ging sie auf die Frauen zu.
»Ist der zu jugendlich für mich?«, fragte sie. »Glaubt ihr, ich kann ihn tragen?«
Die Mädchen sahen sie an, dann sahen sie einander an, zuckten die Achseln und verließen den Laden sehr schnell. Valeria seufzte und ging nach Hause. Sie hatte immer etwas, was unbedingt getan werden musste. Auch wenn der Töpfer jetzt mit ihr Schluss machen würde, wäre Valeria nie wieder wie vorher, und das gab sie nicht gerne zu. Sie fühlte sich wie der Dampf, der nach einem abendlichen Regenschauer vom heißen Erdboden aufstieg.
***
Dann fühlte sie sich – und war tatsächlich – wie eine verstopfte Teekanne. Deshalb ging sie auch so schnell wieder auf den Markt. Zu ihrer Verteidigung muss gesagt werden, dass der Markt so sauber wie nie und die Qualität der Ware auf einmal erstklassig war. Selbst dem Bürgermeister fiel das auf, und als eine neue Gruppe asiatischer Geschäfts leute zu Besuch kam – der vierte Besuch in sechs Wochen –, führte er sie über den Markt. Sie liefen herum, drückten die Früchte und nickten anerkennend. Sie staunten sogar über den sauberen Boden. Alles war picobello. Die Geschäfts leute machten sich an eine attraktive Marktfrau heran. Alle lächelten sie an. Der Bürgermeister arrangierte im Handumdrehen, dass sie von nun an Carambola und Kokosmilch verkaufte.
»Weiß zwar nicht, was das ist und wie man sie isst, aber wenn die Kuh da drüben Kaffee aus Costa Rica verkaufen kann, dann verkauf ich Ihre Kokosmilch als Kaffeesahne.«Der Bürgermeister war erfreut. Die Asiaten waren erfreut.
Alle waren erfreut. Der Bürgermeister sah Valeria und zerrte die Männer zu ihr.
»Valeria, guten Tag. Ich dachte, Sie wollen vielleicht unsere Gäste begrüßen.«
Valeria sah den Bürgermeister streng an. Sie hatte ihre Meinung über ihn keineswegs geändert, aber die Fremden durften ihr die Hand schütteln. Als sie vor den Ständen zu reden und zu gestikulieren anfingen, schickte sie sie weg.
»Ich verstehe nicht, was ihr sagt. Gebt euch keine Mühe.«
»Ich habe ihnen gesagt, was für ein Glücksfall Sie für uns sind«, scherzte der Bürgermeister. »Ich glaube, wir sollten Sie nächstens bezahlen.«
»Pah«, sagte Valeria und ging fort.
Der Bürgermeister, dem es peinlich war, dass sie seine Gäste einfach stehen gelassen hatte, rief ihr nach: »Valeria! Der Töpfer macht eine schöne Skulptur! Sie soll vor dem Bahnhof stehen. Sie sollten die Modelle sehen, die er angefertigt hat. Die Figürchen sehen genau aus wie Sie. Erstaunlich lebensecht. Sie sind seine Muse geworden, sagt meine Frau und zieht ihn damit auf.«
Valeria blieb stehen und kehrte um. Sie wollte mehr erfahren.
»Aber wir müssen schnell weiter. Zum Reden ist jetzt keine Zeit.« Der Bürgermeister ging mit seinen Gästen. »Danke für die gute Arbeit, Valeria. Ich werde sehen, ob Sie dafür nicht eine Belohnung bekommen können.«
Valeria wollte alles über die Statue wissen. Ihre Neugier war zermürbend. Auf dem Markt ließ die Neugier ihr tagelang keine
Weitere Kostenlose Bücher