Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
Mann einen Schnurrbart und einen breiten Brustkorb haben musste.
Valerias Vater war neben einem Heuhaufen an einem Herzinfarkt gestorben, als sie zwei Jahre alt war. Er gabelte gerade Heu für die Schafe auf. Die Frauen im Haus konnten mit Valeria nichts anfangen. Ihre Mutter war an Schwindsucht gestorben, und ihre einzige Kindheitserinnerung an sie bestand aus einer Kranken, der sie sich nicht nähern durfte. Das hatte ihre Großmutter so verfügt. Valeria hasste ihre Großmutter. Sie hatte nie verstanden, warum ihr Großvater sich so liebend gerne mit ihr schlafen legte. Valeria fand ihre Großmutter hässlich. Sie hatte eine große rote Nase, ging immer in Schwarz und trug immer ein schwarzes Kopftuch. Ihre Großmutter lächelte nie, sang nie und pfiff nie. Wenn sie überhaupt mit Valeria sprach, dann nur, um barsch Befehle zu erteilen. Nein, Valeria mochte ihre Großmutter nicht und war höllisch eifersüch tig , dass ihr Großvater sie mochte. Als sie die Alte in der Speisekammer hängen sah, wartete sie erst einmal fünf Minuten, bevor sie losrannte und Hilfe holte.
Das Gesicht ihrer Großmutter war schwarzblau und die Zunge war violett und hing ihr ganz aus dem Mund. Ihreglasigen Augen erinnerten Valeria an ein totes Schaf, das sie einmal gesehen hatte. Sie war sieben. Nachdem die fünf Minuten um waren, rannte sie aufs Feld und suchte ihren Großvater. Er fütterte die Schafe gerade mit Salz.
»Nagy ist tot.«
Ihr Großvater sah sie an.
»Was sagst du da?«
»Nagy ist tot. Sie hängt in der Speisekammer.«
Ihr Großvater, der normalerweise ausgelassen war, weinte eine Woche lang. Danach hasste Valeria ihre Großmutter noch mehr. Sie versuchte, ihren Großvater zu trösten. Sie umarmte ihn und küsste ihn auf den Hals.
»Ist ja gut, Großvater. Ich liebe dich immer noch. Du kannst bei mir schlafen, wenn du willst.«
Es war das Jahr 1939. Zehn Jahre später starb ihr Großvater. Nach seinem Tod war Valeria allein. Sie musste stark sein, wenn sie weiterleben wollte.
***
Man muss den Dorfbewohnern zugutehalten, dass die Willenskraft, von der Valeria aufgezehrt wurde, sie scharfzün gig und mürrisch gemacht hatte – selbst Fremden gegenüber wie dem Postboten, der einmal pro Woche von weit her angeradelt kam und dem sie nicht einmal ein Glas Wasser geben wollte. Als er an einem heißen Sommertag einmal darum bat, weil er sehr durstig war, attackierte sie ihn sogar.
»Strapazen geben dem Leben Würze. Ihr solltet mit Freuden leiden.«
Das war ihr voller Ernst.
Weil sie harte Arbeit schätzte und auf Kleinigkeiten achtete, war ihr Garten ein Erfolg – es war der schönste und üppigste im ganzen Dorf. Deshalb hatte sie auch die fettesten Schweine. Das Unkraut jätete sich nicht von allein. Glück und die Umstände hatten nichts mit Erfolg zu tun.Als die Kinder Valeria über den Zaun zuriefen: »Sehn Sie mal, ein Schornsteinfeger!«, und auf den kleinen Mann zeigten, der bestürmt wurde und sich nicht rühren konnte, sagte sie deshalb sofort:
»Mein Schornstein ist sauber. Ich hab ihn selbst gefegt, mit einem Lappen, den ich an einen Besenstiel gebunden habe.«
»Ein Schornsteinfeger bringt aber Glück«, schrien die Kinder.
»So ein Quatsch«, murmelte sie vor sich hin. Es war ihr gleichgültig, ob der Schornsteinfeger ein Festmahl oder eine Hungersnot brachte. Sie würde überleben.
Aber dieser Mann hatte etwas. Wie er diese Kinder beiseitestieß, wenn sie ihm vors Rad sprangen, brachte Valeria dazu, an ihrem Schlüsselbund zu ziehen. Sie sprang plötz lich in die Diele und musterte sich in einem kleinen Wandspiegel. Der kleine Mann hatte etwas Feuriges, was dem Töpfer fehlte. Er hatte Willenskraft und ein Ziel.
»Ich möchte wissen, auf was der Töpfer wartet«, sagte Valeria zu sich und dachte an seinen weißen Schnurrbart. »Wir werden nicht jünger.«
Dann tat sie ihn mit einem Achselzucken ab. Während sie so in der Diele stand, schrieb sie ihn ab. Sein Problem, dachte sie. Sie war ein Energiebündel: lebendig und von dem Bedürfnis durchdrungen, etwas zu spüren, solange sie noch dazu in der Lage war. Sie brachte ihr Kleid in Ordnung, bürstete sich die silberweißen Strähnen aus den Augen und kniff sich in die rundlichen Wangen. Dann ging sie zur Haustür, machte sie auf und trat hinaus. Sie sah dem Schornsteinfeger an, dass er unbedingt entkommen wollte. Umzingelt, wie er war, konnte er sich nicht befreien, so tapfer er es auch versuchte. Valeria rief so barsch wie möglich
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