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Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Titel: Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fitten
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– in dem Ton, in dem sie mit den Kindern und der Kuh sprach: »Schornsteinfeger!«
    Die ihn erstickenden Kinder stoben auseinander, als die schroffe Stimme ertönte. Der Schornsteinfeger nahm die Chance wahr und stürzte zum Tor. Ein räudiger Hund sprang wie wild vor ihm her. Er verpasste ihm einen Tritt, sodass der Hund aufjaulte. Valerias Herz ging schneller. Sie machte ihm das Tor auf und verscheuchte die Kinder, die nach seinen Beinen schnappten.
    Er feixte über die Betrübtheit in ihren jungen Gesichtern und hätte sie beinahe angespuckt. Stattdessen sah er Valeria an. Sie war bleich, alt und streng, hatte jedoch die rotesten Backen, die er je gesehen hatte – Roterübenrot, blutrot, ein tiefes, erschreckendes Rot, wie das von Lichtern an einem Bahnübergang in einer eiskalten Nacht. Er war ergriffen.
    Hier in diesem erbärmlichen Dorf, am Ende der Welt, begegnete er der zornigsten und schönsten Frau, die er je gesehen hatte. Es war die Frau, von der Ibolya ihm am Abend zuvor erzählt hatte – »Die alte Jungfer. Die selbstgefällige, verknöcherte Alte.« Er erkannte sie sofort. Sie stand vor ihm, wie ein Zugunglück, das sich erst noch ereignen wür de – eine gehässige, eigensinnige Lokomotive, erpicht darauf, alle Engel zu zerquetschen, die ihr in die Quere kamen. Hier war eine Frau, die er begehren konnte. Hier war alles, was er nicht war, und obendrein war hier endlich die betuchte Frau, die er gesucht hatte. Er sah sich ihren Garten an und ihr Haus. Dann sah er fasziniert in Valerias hartes Gesicht. Dass er sie gefunden hatte, war erregend. Er war jedoch geistesgegenwärtig genug zu grinsen. Er grinste, was das Zeug hielt.
    »Ich hab Arbeit für Sie«, sagte sie scharf. »Und wenn Sie mein Fenster kaputt machen, müssen Sie es bezahlen, sonst hol ich die Polizei.«
    Die Kinder riefen: »Geh nicht zu ihr, geh nicht zu ihr! Sie ist eine gemeine Alte.« Doch die beiden verschwandenschnell ins Haus. Der Schornsteinfeger stand grinsend da und wartete auf Weinbrand und Leckerbissen.
    »Nun?«, fragte sie. »Was stehst du hier herum und grinst dämlich? Ich hab nichts zu essen für dich, Halunke! Bestimmt hast du heute schon genug gegessen. Und wie du nach einem Liter Weinbrand immer noch aufrecht stehen kannst, weiß ich nicht, aber es bedeutet bestimmt, dass du nichts taugst! Der Kamin ist dort drüben. Und pass auf, wo du hintrittst.«
    Er sah sie einen Augenblick an und blickte ihr starr in die Augen. Sie hatte ihn weder gestreichelt noch gestreift. Nicht einmal ihre Hände hatten sich berührt. Sie reagierte nicht auf sein Lächeln, sondern blickte ihn ebenfalls an, aber eiskalt und ungerührt. Er lächelte noch mehr und nickte ihr zu. Dann ging er auf Zehenspitzen zu ihrem Kamin und reinigte ihn so gründlich, wie er noch nie einen Kamin gereinigt hatte. Still und leise schrubbte er die Kaminwände, ohne auch nur zu niesen. Es war ganz einfach. Die Feuerstelle war bereits sauber. Er wusste, dass Ibolya ihn richtig beraten hatte.
    »Ihre Schimpferei ist nur Bluff«, hatte sie gesagt. »Arbeiten Sie so gründlich wie möglich und halten Sie durch. Dann sind Sie im Handumdrehen bei ihren langen Unterhosen, Sie werden schon sehen. Sie wollen sich niederlassen? Sie wollen eine Ehefrau? Diese Frau ist die geborene Ehefrau. Sie lechzt nach einem Ehemann, sie ist Hera in Person. Ich garantiere Ihnen, nach dieser Nacht sind Sie praktisch verheiratet.«
***
     
    Die Dorfbewohner vor Valerias Haus warteten auf zerbrechendes Glas und Schläge an die Wand und waren enttäuscht, dass nichts zu hören war. Minuten wurden zu Stunden und die Sonne ging bereits unter, doch keiner rühr te sich von der Stelle. Sie wussten nicht, ob sie die Tür einschlagen oder die Polizei holen sollten. Erst als die Sonne endgültig verschwunden war, löste sich die Menge auf.
    »Ich dachte, sie ist ganz verrückt nach dem Töpfer?«, sagte eine Frau auf dem Heimweg zu ihren Freunden.
    »Ich glaube, sie ist nur verrückt.«
    »Also, jemand sollte dem Töpfer Bescheid sagen.«
    »Der Arme.«
    »Tja, den hat jetzt Ibolya.«
    »Was macht sie wohl mit dem Schornsteinfeger?«
    »Was glaubt ihr?«
    »Schwer zu sagen.«
    »Ein paar Tricks muss sie kennen. Er ist jetzt schon über drei Stunden da drin.«
    »Funktioniert es bei alten Frauen genau wie bei jungen?«
***
     
    Sie waren sich nicht im Klaren, dass jetzt, da die beiden sich begegnet waren, die Stunden nicht zählten. Was war schon eine Stunde? Sieben Tage würden vergehen,

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