Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
einen Cäsar und reichte ihn im Dorf herum wie einen Abendmahlskelch. Doch je mehr die Dorfbewohner zu ihm eilten, um ihn zu begrüßen, je mehr Hochachtung sie ihm entgegenbrachten, desto gewalttäti ger wurde er. In einem Haus zerbrach er lärmend ein Fenster und die Besitzer brachen vor Freude in Tränen aus –schließlich hatten sie ihn nicht nur berührt, sondern auch gesehen und gleich danach eine zerbrochene Fensterscheibe erblickt, was zweifellos jahrelanges Glück bedeutete. Sie waren überglücklich, ihm für seine Mühe ein paar Forint mehr zuzustecken.
Ibolya hatte ihm am Abend zuvor eigentlich nur eines gesagt: »Die Söhne und Töchter des Dorfes muss man mit Verachtung strafen – das ist der Schlüssel zu diesem Dorf. Ich versprech Ihnen, dass alle Sie dafür lieben werden.«
Der Schornsteinfeger nahm diese Liebe und arbeitete in die eigene Tasche.
V
G enau in dem Augenblick, als der Schornsteinfeger eine Vase zerbrach, sah Valeria ihn zum ersten Mal. Sie hörte Glas klirren und eilte hinaus, um sicherzustellen, dass es nicht bei ihr war. Sie bemerkte sofort seine finstere Miene. Sie sah die Runzeln auf seiner Stirn, die ihren eigenen ähnelten, und den zu einer Grimasse verzerrten Mund, aus dem halb Ärger, halb Schmerz sprach. Sein Ekel vor den Dorfbewohnern stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sein Geruch wehte zu ihr herüber und sie atmete ihn gierig ein.
Valeria war unruhig gewesen. In den letzten Tagen war sie zu Hause geblieben oder nicht weit weggegangen. Sie war verwirrt und immer noch benommen von dem, was ihr der Bürgermeister erzählt hatte. Doch sie war auch wütend, dass der Töpfer sie einfach vor den Pilzverkäuferinnen hatte stehen lassen. Sie hätte ihn dafür erwürgen können. Seit dieser Demütigung ging sie nicht mehr auf den Markt. Teils, weil sie darauf wartete, dass sich der Töpfer bei ihr entschuldigte, und sie unbedingt da sein wollte, wenn er zu ihr nach Haus kam. Teils, weil sie selbst auf ihren Spaziergängen durchs Dorf, die sie weiter pflegte, von den Frauen in den Friseursalons behelligt wurde. Sie wollten ihr Badeprodukte verkaufen, für die sie nun wirklich keine Verwendung hatte. Anders als die anderen Frauen im Dorf warValeria noch nicht so weit, dass sie fand, sie müsse unbedingt etwas für ihr Äußeres tun.
***
Auf dem Markt war sie schwach geworden und hatte die Creme gekauft, doch benutzt hatte sie sie noch nicht. Sie war überzeugt, diese Creme nur gekauft zu haben, um das Gesicht leichter zu wahren, nachdem man sie hatte stehen lassen.
»Ist doch nur eine Creme, Valeria.« Die Frauen hatten den Kopf über sie geschüttelt. »Damit kannst du dir das Gesicht sauber machen. Das gefällt dem Töpfer sicher besser. Wie man hört, ist er schon ein Weilchen nicht mehr da gewesen.«
»Ich wasch mir das Gesicht jeden Morgen mit Seife«, fuhr Valeria sie an. »Noch nie davon gehört?«
»Nein«, erwiderten die Frauen trocken. »Aber das hier reinigt gründlicher. Es hilft gegen die großen Poren auf deiner Nase. Versuch’s mal.«
»Hat es bei euch gewirkt?«, fragte Valeria. »Ich kann mir doch einfach das Gesicht schrubben.«
»Valeria, du bist ein hoffnungsloser Fall.«
Valeria hatte keine Verwendung für Parfums oder lieblich duftende Seifen. Ihr Gesicht war rau und hart von der schweren Arbeit und sie war stolz darauf. Sie besaß keine Pinzette und keinen Rasierapparat. Damit zeigte sie, wie sie fand, Charakter. Warum den Charakter mit Lippenstift und Rouge schmälern?
Make-up war für Valeria Charakterschwäche, und die verachtete sie. Vor allem Eitelkeit verabscheute sie zutiefst. Willenskraft dagegen war für sie das Wichtigste. Willenskraft und eiserne Nerven, um weiterzuleben, um nicht aufzugeben. Valeria hatte den Wunsch zu leben; sie wollte weiterleben. Seit achtundsechzig Jahren lebte sie durchihre Willenskraft und hatte nie auf das Glück oder die Umstände gehofft – schon seit ihrer Jugend nicht mehr.
Valerias erste Liebe war ihr Großvater. Den ganzen Tag heftete sie sich, wann immer es möglich war, an seine Fersen, zwinkerte ihm zu, bis er sie hochhob, und versteckte seinen Pfeifentabak, bis er sie kitzelte und sie ihn zurückge ben musste.
»Möchtest du mich heiraten?«, fragte sie ihn.
»So lange lebe ich nicht mehr, mein Schatz«, antwortete der alte Mann lachend. »Außerdem bin ich dein Großvater. Du findest noch früh genug einen Mann.«
Valeria umarmte den Hals ihres Großvaters. Für sie stand fest, dass ihr
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