Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
hundertachtundsechzig Stunden, in denen die Dorfbewohner vergeblich darauf warten würden, dass die beiden wieder aus Valerias Haus auftauchten. Nicht einmal eine Gardine bewegte sich.
Ein Grüppchen besorgter Frauen ging doch zur Töpfer werkstatt . Die Tür war ebenfalls zu … und abgeschlossen. Der Töpfer ließ niemanden hinein, nicht einmal seinen Lehrling.
»Ich habe zu tun«, rief er ärgerlich, als die Frauen ans Fenster klopften.
»Ja, aber …«
»Ich habe gesagt, ich habe zu tun.«
***
Überdies, das sei hier festgehalten, hatte das Dorf eine Pechsträhne. Eine verfrühte Hitzewelle aus dem Süden hatte sich über die Felder gelegt und die Ernte wurde fast über all von Raupen befallen. In der Schule grassierten Läuse und die Kinder kratzten sich die Köpfe und lasen einander die Nissen aus dem Haar. Sieben lange schwüle Tage hörte man nur die Raupen, die sich über die Ernte hermachten, und das Geräusch sich am Kopf kratzender Menschen. Am Dienstag darauf ertappte die Bürgermeisterfrau ihren Mann eng umschlungen mit ihrer Lieblingsfriseurin. Sie warf ihre Haarspange auf die beiden und erklärte, er müsse in das neu gebaute Hotel im Dorfzentrum umziehen.
Als die Woche verstrichen war, hielten die Dorfbewohner mit Votivgaben in den Händen Wache vor Valerias Tür und baten den Schornsteinfeger zu gehen. Sie wurden immer lauter und warfen Kiesel gegen die Hauswände. Doch alles blieb still. Die Wagemutigeren unter ihnen machten das Gartentor auf und hielten das Ohr an Valerias Tür. Sie behaupteten, Valeria stöhnen zu hören.
»Wie ein Bär, der im Frühling erwacht!«
***
Sie mussten noch drei Tage warten, bis sie ein Lebenszeichen erhielten. Zehn Tage! Am zehnten Tag ließ endlich die Hitze nach. An diesem Abend ging das Licht hinter Valerias Veranda an. Die Menge schrie und fluchte. Zum ersten Mal seit zehn Tagen spürten die Dorfbewohner die Küh le einer sternklaren Nacht an ihren geschorenen Köpfen. Jemand hörte Geräusche im Haus und die Menschen vor Valerias Fenster hielten den Atem an.
Die Tür ging auf und Licht fiel in die Dunkelheit. Valeria schwebte zu ihnen heraus. Ihr silberweißes offenes Haar wallte ihr über den Rücken, die Bluse glitt ihr von den Schultern und man sah ihren Büstenhalter. Ihre schlaffenrosa Brüste waren mit blauen Flecken übersät und brannten; auf den Schultern hatte sie offenbar Bisswunden. Doch am schockierendsten waren das leichte Lächeln um ihre Lippen und ihr träumerischer, zufriedener Blick.
Ihre sonst kalten granitharten Augen strahlten und glitzerten. Sie winkte der Menge zu. Wer konnte, winkte zurück. Sie standen schweigend da und winkten einander stumm zu, als wären sie taub. Selbst die Hunde regten sich nicht, hielten die Köpfe schief und die Schwänze still.
Dann erschien der Schornsteinfeger. Seine Brust war schweißglänzend, sein Bauch hing ihm über die Hose. Seine Füße waren nackt und schmutzig. Er war einen Kopf kleiner als sie. Mit der einen Hand hielt er seine Hosenträ ger , mit der anderen fuhr er sich durchs Haar. Er lächelte und nickte. Die Männer nickten zurück.
Valeria ging ins Haus und brachte ihm sein Hemd. Der Schornsteinfeger zog es ungeniert vor den Dorfbewohnern an und knöpfte es zu, so als sei dies die natürlichste Sache der Welt. Als er fertig angezogen war, zog er Valeria am Handgelenk zu sich, legte den Arm um sie, tätschelte ihren ausladenden Hintern und küsste sie auf den Mund. Dann ließ er sie los und sah mit ihr zu den Sternen hinauf. Auch die Dorfbewohner schauten zum Himmel und flüsterten miteinander.
»Wonach halten wir Ausschau?«
»Vermutlich nach seinem Raumschiff.«
Der Schornsteinfeger hatte den Arm um ihre Taille geschlungen und deutete zum Himmel hinauf.
»Siehst du die da oben?«, fragte er.
Valeria nickte. Es war das Sternbild des Stiers.
»Das ist die Kassiopeia. Kennst du die Geschichte?«
Valeria schüttelte den Kopf.
»Kassiopeia war für die Götter so etwas wie ein Milchmädchen. Sie selbst war keine Göttin, sondern eine Nympheoder so was. Der springende Punkt ist, dass sie nicht unsterblich war. Jedenfalls war sie es, die den Göttern ihr Ambrosia brachte. Außerdem war sie Apollos Geliebte.«
Valeria sah ihn an. Sie wusste, dass er log, wusste aber nicht, was sie sagen sollte. Zumindest versucht er es, dachte sie. Der Töpfer würde dergleichen nie tun. Valeria kämpfte mit ihren Gefühlen.
»Sie war Apollos Geliebte und wollte bei ihm sein. Die
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