Valhalla: Thriller (German Edition)
sie vielleicht eines Tages ebenso leben könnte. Und doch sah sie sich auf einmal mit dieser Frage konfrontiert.
Was sollte nun werden? Ein Kind brauchte Geborgenheit, es brauchte Sicherheit, Kontinuität und Wärme. Vor allem aber brauchte es Liebe. Konnte Hannah ihm all das geben?
Ihr fiel auf, dass John noch kein Wort zu dem Thema gesagt hatte. Er saß nur da und sah sie aufmerksam an. So, als versuchte er, ihre Gedanken zu erraten. Wahrscheinlich fragte er sich, ob sie sich vorstellen könnte, ein Kind mit ihm zu haben. Ob sie bereit wäre, mit ihm eine Familie zu gründen.
Sie presste die Lippen zusammen. Sie fühlte sich überrumpelt. Vier Wochen. John hatte alle Zeit der Welt gehabt, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, seine innere Einstellung zum Thema Kinder und Familie zu überdenken. Sie hingegen hatte eben erst davon erfahren.
Sie brauchte Zeit.
»Nun, was sagen Sie?« Christensen strahlte. Vermutlich reagierten 90 Prozent aller Frauen mit Lächeln und Augenklimpern, wenn ihnen diese Nachricht überbracht wurde. Doch Hannah war anders. Sie hatte noch nie in irgendwelche Klischees gepasst.
»Ich weiß nicht«, sagte sie ehrlich. »Für mich ist das alles noch neu. Ich brauche Bedenkzeit.«
»Die haben Sie«, sagte Christensen. »So viel Sie wollen.«
John saß immer noch da, seine Enttäuschung tapfer verbergend. Hannah konnte ihm ansehen, wie es in seinem Inneren rumorte. Sie wünschte sich, er würde endlich mal den Mund aufmachen. Als nichts passierte, ergriff sie die Initiative.
»So schweigsam?«, fragte sie mit hochgezogener Braue. »Was denkst du über die Sache?«
Er räusperte sich. »Nicht viel, außer dass ich mich freue und dass du mit meiner Unterstützung rechnen kannst. Wie auch immer deine Entscheidung ausfallen wird, ich stehe zu dir.« Er zwang sich ein Lächeln aufs Gesicht.
Hannah verzog den Mund. Sie wusste, wie sehr er sich ein Kind wünschte. Er hatte schon früher davon gesprochen, doch sie hatte immer abgeblockt. Dass er seine Wünsche nicht offen vertrat, enttäuschte sie. Doch statt ihm Vorwürfe zu machen, entschied sie sich für einen Themenwechsel.
»Was war das mit dem Schutzengel? Sie erwähnten diesen Begriff vorhin …«
»Ihr Baby«, sagte Professor Hansen. »Ohne dieses kleine Wesen hätten Sie es nicht geschafft. Obwohl es noch so klein ist, hat es Ihnen das Leben gerettet.«
»Das verstehe ich nicht …«
»Da sind Sie nicht die Einzige, Frau Dr. Peters«, sagte Anna Christensen. »Auch für uns ist das ein Rätsel. Allerdings gibt es einige wissenschaftliche Ansätze, die eine Erklärung liefern könnten. Tatsächlich ist der Embryo – Ihr Kind – der einzige Grund, warum die Krankheit bei Ihnen nicht zum Tode geführt hat.«
»Wie ist das möglich?«
»Das zu erklären braucht einige Zeit.«
Hannah breitete die Arme aus und lächelte. »Wie Sie sehen, habe ich gerade nichts vor …«
»Nun gut.« Hansen und Christensen zogen sich zwei Stühle heran und nahmen darauf Platz. »Es gibt in der Medizin ein Phänomen, das sich
Mikrochimärismus
nennt. Die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen, aber es könnte sein, dass der Krankheitserreger nicht von Ihnen, sondern von Ihrem Baby besiegt wurde. Um das zu erklären, müssen Sie verstehen, was für ein unerhört seltsamer und faszinierender Vorgang die Schwangerschaft eigentlich ist. Sie ist immer noch eines der großen Wunder unserer Zeit. Eigentlich müsste ein Baby vom Körper der Mutter bekämpft werden. Immerhin enthalten kindliche Zellen fremdes Erbgut – nämlich das des Vaters. Babys sind also genau genommen Fremdkörper, und wie unser Körper darauf reagiert, ist bekannt.«
»Mit … Abstoßung?«
Christensen nickte. »Dasselbe wie bei Organverpflanzungen, wenn man das Immunsystem nicht künstlich außer Kraft setzt. Auch der Fötus wird vom Immunsystem der Mutter als fremd erachtet, und doch wächst er ungestört heran. Wie kann das sein? Es hat etwas mit den Leukozyten, den weißen Blutkörperchen, zu tun. Sie sind die Killerzellen des Immunsystems. Sie greifen fremdes Gewebe an und verursachen Abstoßungsreaktionen. Das Protein
FasL
schützt das Baby vor diesen Attacken: Es dockt an aktive Leukozyten an und treibt sie in den Selbstmord. Inaktive Killerzellen, die dem Embryo nicht gefährlich werden können, werden dagegen verschont.«
»Gleichzeitig findet ein reger Stoffaustausch zwischen dem heranwachsenden Kind und der Mutter über die Plazenta statt, den
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