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Valley - Tal der Wächter

Titel: Valley - Tal der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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sogar auf dem Richterstuhl zu tragen, und viele Verurteilte schafften es nicht mal mehr bis zum Galgen im Hof.
    So mancher vermutete, Sven habe das häusliche Leben sattgehabt und eine neue Herausforderung gesucht. Jedenfalls schickte er eines Sommers Boten zu den anderen Helden, die in seinem Namen um einen Waffenstillstand und eine Versammlung ersuchten, auf der das Troldproblem besprochen werden sollte.

    Die Fenster in Svens Halle waren hohe schwarze Vierecke. Der Wind rüttelte an den Läden. Die Kohlenbecken an den Wänden waren heruntergebrannt und der Feuerschein aus dem Kamin kroch rot und vielarmig wie ein lebendiges Wesen über den Steinfußboden.
    Aud und Hal saßen dicht nebeneinander am Kamin. Keiner von beiden sagte etwas.
    Hal trank gierig aus seinem mit starkem Wein gefüllten Becher. Bei jedem Schluck warf er Aud einen verstohlenen Seitenblick zu, betrachtete immer noch fassungslos ihr bleiches Gesicht und das zerzauste Haar. Ihre Kleider wiesen an der Brust tiefe Risse auf, der dicke Wollstoff war beinahe durchtrennt. Auds eine Hand war frisch verbunden, ihr Knöchel unter dem sauberen Verband dick geschwollen. Sie umklammerte ihren Becher mit blutleeren Fingern, als müsste sie sich daran festhalten. Ihr Blick ging ins Leere.
    Hal trank einen Schluck Wein. Verglichen mit ihr war er noch gut weggekommen. Der Kragen seiner Jacke war abgerissen, und sein Hals tat immer noch weh, wenn er ihn anfasste – er spürte noch, wo ihn die Troldklauen gestreift hatten. Aber davon abgesehen war er zwar völlig durchgefroren, äußerlich jedoch unversehrt.
    Als sie nach einem langen, beschwerlichen Abstieg endlich wieder in die Nähe des Hauses gekommen waren, hatte sie ein Suchtrupp aufgelesen, der, ausgerüstet mit Laternen, sämtliche Felder und Wiesen nach ihnen durchkämmt hatte. Zunächst war man vor allem erleichtert und besorgt über Auds Verletzungen. Sie war sofort in Katlas Obhut gegeben worden, während Hal seinem Bruder Leif, dem Diener Eyjolf und den anderen Männern schilderte, wie Aud auf einem Ausflug zu den Weiden oberhalb des Hauses ausgerutscht und von einem Felsen gestürzt war, worauf er sie nach Hause gebracht hatte. Nachdem, wie nicht anders zu erwarten, sich alle darüber aufgeregt hatten, dass er einen Gast in Gefahr gebracht hatte, gingen die anderen schlafen. Hal staunte, dass niemand auf den Gedanken kam, seine Geschichte anzuzweifeln. Alle hatten seine Lügen bereitwillig geschluckt.
    Hal trank und starrte ins Feuer. Geschichten und Lügen...
    Dummerweise hatte sich herausgestellt, dass die Geschichten auf Wahrheit beruhten.
    Im Hochmoor gab es tatsächlich Trolde. Sie hausten gleich hinter der Grenze, die sie, wie es die alten Geschichten berichteten, vom Tal fernhielt. Eine andere Erklärung gab es nicht. Das bedeutete, dass Sven und die anderen Helden die Biester damals bei der Schlacht am Troldfelsen tatsächlich in die Flucht geschlagen hatten. Die Helden hatten wirklich gelebt und diese letzte, größte Heldentat vollbracht. Ihre Gräber wachten immer noch über das Tal und die Trolde lauerten nach wie vor in den Hügeln.
    Und demnach konnte man das Tal nicht verlassen.
    Hal sah zu, wie die Flammen aufloderten, hell flackerten und wieder in sich zusammenfielen. Aber was folgte daraus? Dass er und Aud nach ihrem einzigen kurzen Fluchtversuch, nachdem sie beide etwas gewagt hatten, was sich seit Generationen niemand mehr getraut hatte, nachdem sie von Weitem etwas im Gebirge erspäht hatten, was womöglich der gesuchte Pfad war – dass sie nach all diesen Mühen ihre Hoffnungen einfach begraben und weitermachen sollten wie vorher, ihr Leben so verbringen, wie es vorgesehen war, bis man sie in einem einsamen, finsteren Hügelgrab beisetzte?
    So machten es alle anderen.
    Irgendwo hinter geschlossenen Türen hörte er seinen Vater krampfhaft husten.
    Teils, um das Husten zu übertönen, teils, um den dumpfen Zorn, der mit einem Mal in ihm aufkam, loszuwerden, fragte Hal barsch: »Der Riss in deinen Kleidern geht nicht durch, oder?«
    Aud sah auf und räusperte sich nach dem langen Schweigen. »Nein. Ich habe nur Prellungen, keine tieferen Wunden.«
    »Gut.«
    Kurzes Schweigen. »Dein Hals sieht schlimm aus«, sagte Aud schließlich.
    »Ach ja? Tut aber nicht weh.«
    »Man sieht ganz deutlich fünf rote Abdrücke.«
    Hal erschauerte, sagte aber nur: »Tja, es hat sich ganz schön kalt angefühlt.«
    »Ich weiß. Als es mich erwischt hat, ist mir die Luft weggeblieben.« Sie

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