Valley - Tal der Wächter
Schädel fuhr noch weiter herum, bis er endlich abfiel.
Helm über Schädel und Schädel über Helm flog der Kopf durch die Luft, knallte auf den Fels, verlor dabei den Unterkiefer, rollte weiter und blieb verkehrt herum liegen. Der Oberkiefer grinste den Mond an.
Dann zerfiel der Schädel zu Staub.
Ein leerer Helm kullerte hin und her.
Der kopflose Riese machte zwei Schritte rückwärts und wedelte mit der verbliebenen Hand. Ein dritter Schritt – und er trat über den Rand, stürzte in den nebligen Abgrund und war verschwunden.
Auf dem Felsen war alles still. Im Nebel war alles still. Im Tal und auf dem Hügelkamm war alles still.
Als Hal sich umdrehte, sah er Aud mit dem Messer in der Hand hinter sich stehen. Sonst war niemand mehr da.
Hal würdigte das rostige Schwert und den Helm keines Blickes mehr und ging zu seiner Freundin.
Sie wechselten einen langen Blick.
»Meine Fresse!«, sagte Aud dann. »Was hast du bloß für’ne fiese Verwandtschaft.«
Der Tag würde bald anbrechen. Zerschrammt, verwundet und durchgefroren saßen sie aneinandergeschmiegt auf dem kahlen Felsen und warteten.
»Jetzt frag ich mich nur...«, Hal deutete auf die Troldklaue, die vor ihm lag, »ob das Ding vielleicht doch echt ist.«
Er schaute Aud an. Die saß mit hängenden Schultern und lang ausgestreckten Beinen neben ihm. So hatte sie auch dagesessen, als sie aus dem Apfelbaum geplumpst war, und damals hatte sie genauso verdattert dreingeschaut. Sie zuckte lächelnd die Schultern, sagte aber nichts dazu.
»Und noch etwas frage ich mich«, redete Hal weiter. »Wo hast du auf einmal mein Messer hergehabt? Die Untoten hatten es mir doch abgenommen.«
»Na ja, das war so... Dein Onkel Brodir hat es mir gegeben. Zumindest kam er einmal ganz in meine Nähe und hatte es in der Hand, im nächsten Augenblick war er schon wieder weggehuscht – und das Messer lag auf dem Felsen.«
»Glaubst du wirklich...«, setzte Hal ungläubig an.
»Ja.«
Das musste Hal erst einmal sacken lassen. »Das freut mich«, sagte er schließlich.
Unter ihnen lichtete sich der Nebel zunehmend, bis hinter den feinen Schleiern das Moor wiederzuerkennen war, kahl, verlassen, eine wellige, mit Gras und Stechginster bewachsene, leicht ansteigende Landschaft. Auch der Mond verblasste allmählich, trat müde und matt den Rückzug an, als von Osten her blassgoldenes Licht den Himmel erhellte. Erst leuchtete das ferne Meer auf, dann die schneebedeckten Gipfel der Berge im Süden.
Aud und Hal schauten zu, wie sich das Licht, während das Tal immer noch in tiefster Dunkelheit lag, an fernen Orten sammelte. An Orten, an denen sie noch nie gewesen waren.
Kurz darauf fingen die ersten Vögel zwischen den Hügelgräbern zu singen an.
HÖR GUT ZU, MÄDCHEN, dann erzähl ich dir noch einmal von Hal Svensson, dem Hallenanzünder, dem Troldbezwinger, dem großen Hal Kurzbein, der zu Lebzeiten deiner Großmutter die Schlacht um Svens Haus gewonnen und uns zur wohlhabendsten Familie im ganzen Tal gemacht hat.
Und so endet die Geschichte:
Auf dem Höhepunkt des Kampfes lockte Aud, die Wölfin aus Arnes Haus, im Schutz des Nebels den Feind hinter die Hügelgräber.
Kein Sterblicher hat mit angesehen, was dort geschah, aber man hörte die ganze Nacht über grässliche Schreie von dort oben herunterschallen.
Manche vermuteten, Hal habe die Trolde gerufen, damit sie die Hakonssons fressen sollten, andere glauben, der große Sven selbst sei Hal in der Stunde der Not zu Hilfe geeilt … Fest steht nur, dass kein einziger Hakonsson jemals wieder von den Hügeln herunterkam.
Weder Hal noch Aud haben jemals irgendwem von dieser Nacht erzählt, außer vielleicht Arnkel Svensson, den sie gleich nach ihrer Heimkehr aufsuchten. Arnkel starb am folgenden Tag und Hal wohnte der Bestattung seines Vaters in einem Grab droben auf dem Hügelkamm bei.
Dann zog Leif, das neue Familienoberhaupt, zusammen mit seiner Mutter Astrid, der Schiedsherrin, ins Untertal, wo in Orms Haus die große Versammlung stattfand und wo ihnen der Rat jene Ländereien zusprach, auf denen unser jetziger Reichtum und Einfluss beruhen.
Hal und Aud jedoch blieben hier und sprachen mit kaum jemandem.
Und nicht lange danach, als das erste Laub an den Bäumen spross und es wieder wärmer wurde, verschwanden die beiden.
Es heißt, sie hätten Svens Silbergürtel auf dem Richterstuhl zurückgelassen, dazu einen uralten Helm und ein rostiges Schwert.
Alles hängt bis zum heutigen Tag bei den anderen
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