Valley - Tal der Wächter
Leinentuch gewickelt, auf einer über zwei Stangen gelegten Pritsche. Auf einer anderen Pritsche lag der Schlussstein für sein Grab.
Die Männer unterhielten sich leise. Sie hatten die Kapuzen tief in die Gesichter gezogen, ihr Atem dampfte darunter hervor. Sie steckten die Hände unter die Wollmäntel und stampften mit den Füßen wie ungeduldige Pferde. Doch Arnkel brach noch nicht auf. Eben kam Hals Mutter, gefolgt von Eyjolf und einem anderen Diener, vom Schlachthaus herüber, wo amVorabend ein einjähriger Schafbock geschlachtet worden war. Alle drei trugen je ein in Fell gewickeltes Stück Fleisch. Sie überreichten die Pakete den wartenden Männern, die sie hinter dem Stein auf die Pritsche banden.
Zuletzt kam Grim mit einem flach gehämmerten Eisenstück, nicht länger als sein Unterarm, aus der Schmiede geeilt. Das war Brodirs Schwert, das ihm bei der Verteidigung des Tales helfen sollte. Man würde es ihm an die Brust lehnen, ehe man die Steine über ihm aufschichtete. Arnkel steckte die Waffe in sein Bündel.
Aus Fenstern und Türen schauten die Bewohner von Svens Haus schweigend zu, wie Arnkel und Grim die Pritsche mit dem Toten auf die Schultern nahmen. Dann trotteten die Männer im Gänsemarsch zum Tor hinaus. Niemand verlor ein unnötiges Wort. Noch ehe es dunkel wurde, musste die Grube auf dem Hügelkamm ausgehoben und der Steinhügel errichtet sein. Keine leichte Aufgabe.
Als Hal kurz darauf gewaschen und angezogen wurde, löcherte er Katla mit Fragen.
»Wofür ist das Fleisch?«
»Das weißt du doch.Arme hoch! Man wirft es ins Moor, damit einem die Trolde gestatten, zum Ausheben der Grube die Grenze zu übertreten.Wasch dich bitte gründlich – inzwischen musst du dich da unten auch schrubben!«
Hal schwang den Lappen ohne große Begeisterung. »Kommen die Trolde dann gleich raus und holen sich das Fleisch? Können die Männer sie dabei beobachten?«
»Wo denkst du hin! Die Trolde kommen doch nicht tagsüber heraus. Sie warten, bis es dunkel wird, und bis dahin sind die Männer längst wieder weg.«
»Und wenn sie kein Fleisch dalassen würden?«
»Dann dürften die Trolde die Grenze zu unserem Haus überschreiten. Und das wäre unser Verderben.«
»Ich würde ja gern mal einen Trold sehen«, äußerte Hal wie nebenbei.
Katla vollführte sofort eine ganze Reihe Schutz- und Abwehrgebärden. »Du gehst sofort zur Tränke und wäschst dir den Mund mit Öl und Wasser aus!«
Hal dachte nicht daran zu gehorchen, sondern kämpfte mit seinen Hosen. »Was ist denn so schlimm daran? Ich könnte doch hochgehen und beim Begräbnis helfen und dann einfach oben bleiben und warten. Ich würde auch nicht die Grenze überschreiten wie der Junge, von dem du mir erzählst hast, sondern bloß zwischen den Hügelgräbern sitzen und zuschauen, wie die Trolde zum Fressen rauskommen.«
Katla stieß einen ängstlichen Laut aus und legte ihm die verkrümmten Finger auf den Arm. »Das ist aus dreierlei Gründen keine gute Idee, Hal. Erstens wäre es dann ohnehin dunkel und du könntest sowieso nichts sehen. Zweitens würden dir vor Schreck die Augen rausfallen und über die Erde kullern, wenn du auch nur einen klauenbewehrten Zeh erkennen könntest. Drittens würde eine solche Ungehorsamkeit unsere seligenVorfahren verärgern und sie könnten dich dafür bestrafen.«
»Aber die Trolde sind doch unsere Feinde, Katla! Was würden unsere Vorfahren denn mit mir anstellen?«
»Lass es lieber gar nicht erst drauf ankommen. Die Ahnen fackeln nicht lange, wenn es darum geht, jemanden zu bestrafen, und sie sind ziemlich unerbittlich, was dran liegen mag, dass sie tot sind.«
»Ich glaube, du bist schon ein bisschen verwirrt, alte Amme. Nein, nicht die Hausschuhe! Ich will meine Stiefel anziehen.«
Die Alte musterte ihn argwöhnisch. »Du grämst dich doch wohl hoffentlich nicht mehr um deinen Onkel? Er ist jetzt mit Sven vereint. Und, nimm’s mir nicht übel, ich finde ja, das Unglück hat irgendwie auch sein Gutes. Meiner Meinung nach hat dich Brodir zu deinen waghalsigen Streichen geradezu ermutigt.«
»Das haben meine Eltern auch oft gesagt. Wo ist mein Wollmantel, Katla? Der ganz dicke!«
»Am Haken neben der Tür. Denk immer dran, dass dich deine Eltern sehr lieb haben, Hal! Sie sind einfach nur besorgt um dich! Und sie möchten dich auf keinen Fall irgendwann am Galgen baumeln sehen.«
Hal hielt inne. »Was? Wie kommst du denn darauf?«
»Bis jetzt hat dich dein Übermut nur zu recht harmlosen Streichen
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