Valley - Tal der Wächter
angeschwemmt wurde! Ja, nimm sie ruhig in die Hand.« Björn sah zu, wie Hal das Leder ausführlich untersuchte. »Ist die nicht einmalig? Die würde ich für nichts auf der Welt eintauschen, höchstens für etwas ganz außergewöhnlich Seltenes.« Er lächelte Hal mit funkelnden Augen und schief gelegtem Kopf an. »Und das hier ist womöglich mein allerwertvollster Besitz...«
Er zog einen kohlrabenschwarzen Gegenstand aus seiner Satteltasche, der gebogen wie ein Halbmond, scharf wie eine Sichel und doppelt so lang wie Hals Finger war. »Hier, Leif, mein Kleiner, siehst du eine leibhaftige Troldklaue, die man aus der Asche von Thords Haus geborgen hat, nachdem die Ketilssons es niedergebrannt haben. Ich glaube sogar, es ist dieselbe, die Thord damals in seinem Bein mit heimgebracht hat. Ganz sicher aber ist es die Einzige im ganzen Tal, jedenfalls weiß ich von keiner anderen. Wenn jemand unbedingt auch so etwas haben will, muss er schon zu den Hügelgräbern hochgehen und die Trolde freundlich drum bitten!« Er lachte kurzatmig. »Na, was sagst du dazu?«
»Irgendwie sieht deine Klaue wie ein Stück schwarz gebeiztes Holz aus«, erwiderte Hal. »Als hättest du sie letzten Monat vom selben Schnitzer gegen ein Brot eingetauscht.«
Der Händler Björn konnte seinen Ärger nur mit Mühe verbergen. »Tja, ihr Leute aus dem Obertal habt eben keinen Sinn für so etwas.« Er schwieg eine Weile. »Was mir in meiner Sammlung noch fehlt«, sagte er schließlich bekümmert und blickte in die schwarzen Baumkronen empor, »wäre irgendetwas, was aus wertvollem Metall gefertigt ist. Aus Silber zum Beispiel. Aber solche Schätze werden seit der Zeit der Helden nicht mehr hergestellt und sind sehr selten geworden. Für so etwas würde ich einen wahrhaft fürstlichen Preis bezahlen!«
Hal röstete ein Stück Käse an einem Stöckchen, das er immer wieder drehte, damit kein Tropfen ins Feuer fiel. Er schien ganz darin vertieft und erwiderte nichts.
Daraufhin sagte Björn wie im Selbstgespräch leise: »Ich habe gehört, dass die Schatzkammer der Egilssons einen silbernen Kelch enthält, und die Svenssons sollen auf ihrem Hof angeblich einen Silbergürtel hüten. Falls es noch mehr solcher Gegenstände gibt, so weiß ich nichts davon. Aber es ist leider ziemlich unwahrscheinlich, dass ich dergleichen irgendwann in die Finger bekomme. Wer so etwas besitzt, verkauft es nicht, und ein Dieb würde so eine Beute nur schwer loswerden. Und gefährlich wäre es auch, denn solange er den Gegenstand bei sich trägt, müsste er jeden Augenblick damit rechnen, gehängt zu werden! Nur jemand wie ich, der Beziehungen zu jedem Haus pflegt, könnte ihm da behilflich sein... und ich würde ihn sehr gut entlohnen, mit einem ganzen Haufen Goldstücke...« Seine schwarzen Äuglein blinkten im Flammenschein. »Was meinst du dazu, Leif?«
Hal zog den Stock aus dem Feuer und ließ sich den geschmolzenen Käse in den Mund fallen. Dann kaute er nachdenklich, während Björn ihn nicht aus den Augen ließ. Immer wieder schien es, als wollte Hal antworten, aber dann kaute er doch weiter, bis Björn vor Ungeduld fast platzte. Schließlich wischte sich Hal mit dem Ärmel den Mund, rülpste und erwiderte: »Ich finde es eigentlich ziemlich unterhaltsam, deinen Geschichten zu lauschen, und verspreche dir, falls ich irgendwann jemandem begegnen sollte, der so einen Silbergegenstand anbietet, den Betreffenden geradewegs zu dir zu schicken. Aber jetzt leg ich mich erst mal aufs Ohr. Der viele Wein ist mir ganz schön zu Kopf gestiegen.«
Er stand auf und ging um das Feuer herum, wo ein kleiner Vorsprung ein bequemes Lager versprach. Er deckte sich mit seinem Mantel zu und wälzte sich unter ausgiebigem Ächzen und Seufzen herum, bis er gut lag.
Der Händler Björn blieb sitzen und blickte ins Feuer. Lange Zeit saß er reglos da, der Widerschein der Flammen flackerte über sein breites, ausdrucksloses Gesicht. Schließlich trank er seinen Becher aus und beobachtete versonnen, wie das Feuer allmählich erlosch und die nächtliche Schwärze die kleine Lichtung mitten in der Schlucht einschloss. Nicht weit von ihm graste das magere Pferd und darüber, zwischen unsichtbaren Ästen, glitzerten die kalten Sterne.
Das Feuer brannte herunter. Hal lag ganz still. Björn war nur noch ein geduckter Umriss.
Tief unten rauschte der Fluss durch sein Felsbrockenbett. Irgendwo im Wald, der sich an die Felswände schmiegte, schrie eine Eule. Ein Zweig knackte im Feuer. Björn
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