Valley - Tal der Wächter
plötzliche Stille.
Von weit unten und wegen des Flusses kaum zu hören, waren etliche dumpfe Schläge und das Gepolter von Steinen zu vernehmen. Das war alles. Der Fluss rauschte unvermindert, der Wind ließ die Kiefernäste schwanken, sonst war die Nacht wieder still und friedlich.
Von ihrem Lagerfeuer war nur noch ein glimmender Aschestreifen übrig.
Hal kauerte sich zusammen und starrte mit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit.
10
Wo er auch hinkam, überall priesen die Leute Svens Heldentaten. Die Familienoberhäupter überhäuften ihn mit Gold und Geschenken und alle paar Meter standen hübsche, spärlich bekleidete Maiden am Wegesrand. Die anderen jungen Helden im Tal waren grün vor Neid und versuchten, es Sven nachzutun. Ketil zog in den Wald und wollte es mit den dort hausenden Banditen aufnehmen, wurde aber von einem Zwerg mit einem Klappmesser in die Flucht geschlagen. Eirik erklomm den Taubenfelsen und wollte den dort lebenden menschenfressenden Bären erlegen, wurde aber von dessen Jungtier meilenweit über die Hügel gejagt.
Sven äußerte sich nicht zu diesen Unternehmungen, überhaupt war er nicht sonderlich redselig. Er war unterdessen erwachsen geworden: ein großer, breitschultriger, ernster junger Mann, stark wie ein Fels, flink wie ein Hirsch, mit wachem Verstand und stets bereit, seinem Verstand gemäß zu handeln. Kaum jemand wagte, ihm zu widersprechen, wenn man in der großen Halle beisammensaß.
Irgendwann kurz vor Tagesanbruch, als die Nacht am schwärzesten war, hatte sich Hal auf die Suche nach seinem Mantel gemacht und sich darin eingewickelt, aber am Morgen fror er trotzdem und fühlte sich fiebrig. Mit zitternden Händen entfachte er ein neues Feuer, aß die Reste des gebratenen Fleischs und spülte sie mit großen Schlucken Wein hinunter. Der alte Gaul stand unter einer Kiefer und sah ihm zu. Jenseits des Abgrunds hingen zwischen den fernen Bäumen schmale Nebelstreifen.
Vielleicht hatte es auch dem großen Sven zu schaffen gemacht, als er zum ersten Mal einen anderen Menschen getötet hatte, versuchte sich Hal zu trösten. Die alten Sagen berichteten nichts über solche menschlichen Regungen des Helden, aber es leuchtete Hal ein, dass auch ihn ein solches Erlebnis aus der Fassung gebracht, ja womöglich verstört hatte.
Gewiss war es richtig, so zu empfinden. Ließe einen eine solche Erfahrung gleichgültig, hätte man einen schlechten Charakter. Nur wenn man darüber hinwegkam und sich trotzdem seines Sieges freute, bewies man, aus welchem Holz man geschnitzt war.
So redete sich Hal gut zu. Trotzdem blieb er lange am Feuer sitzen, und als er sich schließlich daranmachte, Björns Satteltaschen zu durchsuchen, zitterten ihm immer noch die Knie.
Die Satteltaschen enthielten überwiegend Waren, mit denen Hal nichts anfangen konnte: grob geschnitzte Haarspangen und Heldenfigürchen, Perlen, Bernsteinketten, Broschen und schmuddelige Wäschestücke. Die Schätze, die ihm Björn am Vorabend gezeigt hatte, waren auch nicht verlockender, denn Hal hielt sie allesamt für nicht echt. Ganz unten in der zweiten Tasche entdeckte er jedoch etwas Besseres: einen prall gefüllten Geldbeutel aus weichem Stoff.
Hal nahm den Beutel und Björns restlichen Proviant an sich und warf die Satteltaschen unter die Bäume. Dann trat er das Feuer aus und ging zu dem alten Gaul, der immer noch am Rand der Lichtung angebunden war.
»Auf dir zu reiten, bringe ich nicht übers Herz«, wandte er sich an das Tier. »Jedenfalls bist du deinen Herrn jetzt los. Geh deiner Wege.«
Er versetzte dem Pferd einen sanften Klaps aufs Hinterteil und das Tier trottete nach kurzem Zaudern davon und den Pfad bergab. Bald war es zwischen den Bäumen verschwunden.
Als Hal sich ebenfalls auf den Weg machte, fiel sein Blick auf etwas Schwarzes, das aus dem Gras ragte. Es war die angebliche Troldklaue, die Björn in die Erde gerammt hatte. Es war gar nicht so leicht, sie wieder herauszuziehen, aber dann stellte Hal zu seiner Überraschung fest, dass sie mit großem handwerklichem Geschick angefertigt war. Das harte Holz war blank poliert, das ganze Ding schwerer, als er angenommen hatte. Außerdem war die Klaue so scharf, dass sie sein Bündel aufschlitzte, als er sie einsteckte. Umso besser. Bis er sich ein neues Messer kaufen konnte, würde ihm die Klaue als Waffe dienen.
Seine weitere Wanderung durch die Schlucht verlief ohne Zwischenfälle. Die Steilwände wichen nach und nach wieder zurück, der Pfad war nicht
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