Valley - Tal der Wächter
der Fremde. »Das wäre ja nun gar zu unhöflich, so etwas würde mir nicht im Traum einfallen. Offen gestanden kann sich der Klepper ohnehin kaum mehr auf den Beinen halten...«, er klatschte dem Pferd grob auf den Hals, »... da hältst du bestimmt mühelos mit uns Schritt. Lass uns gemeinsam weiterziehen, uns ein trockenes Fleckchen suchen und etwas essen.«
Seite an Seite zogen sie weiter. Der Dicke pfiff ein munteres Liedchen, wobei seine Hängebacken ordentlich schwabbelten. Der alte Gaul kämpfte sich voran, Hal stapfte schweigend nebenher.
»Nun, Leif«, sagte der Dicke nach einer Weile, »du gehörst also zu Gests Haus?«
Es klang beiläufig, aber Hal war auf der Hut. »Na ja, ich komme von einem Pachthof der Gestssons.«
»Ach so. Ich habe mich schon gewundert, weil wir uns nicht begegnet sind, als ich letzte Woche dort war. Dann ist es ja nicht weiter verwunderlich. Und du willst einen Verwandten besuchen? In welchem Haus doch gleich?«
»Bei den Hakonssons.«
»Ach richtig.Verrate mir doch, wie der Betreffende heißt. Ich komme auf meinen Reisen überall herum und kenne die Hakonssons recht gut. Ich heiße übrigens Björn«, fuhr der Dicke fort, »und bin von Beruf Händler. Ich ziehe von einem Haus zum nächsten und habe auf diese Weise schon das ganze Tal bereist. Was ich mache? Ich kaufe, tausche und verkaufe praktisch alles, was das Weibervolk so braucht. Ja, die Weiber sind meine besten Kunden.« Er beugte sich schwankend aus dem Sattel und zwinkerte Hal zu, wobei sein Auge ganz und gar in einer Speckfalte verschwand. »Sie sind für gewöhnlich ganz versessen darauf, Dinge zu kaufen, die sie eigentlich überhaupt nicht brauchen. Kürzlich, anlässlich einer Versammlung bei den Svenssons, habe ich bei der eitlen Tochter des Familienoberhauptes eine Handvoll antiker Haarspangen gegen einen prachtvollen kleinen Wandteppich eingetauscht, der mir im Untertal viel Geld einbringen wird. Der Witz dabei ist, dass die Spangen erst letzten Monat von einem Dummkopf geschnitzt wurden, der sie mir für ein Brot überlassen hat!« Er lachte kurzatmig und keuchend und von seinem Gelächter erbebte der krumme Rücken des Pferdes und sogar die Satteltaschen hinter seinen Schenkeln schepperten.
Hal, der inzwischen inständig wünschte, er wäre hinter seinem Baum geblieben, brummte zustimmend und legte etwas Abstand zwischen sich und den Reiter, angeblich, damit das Pferd auf dem schmalen Gebirgspfad mehr Platz hatte. Das Gelände war hier ziemlich unwegsam, der abschüssige Pfad mit Geröll bedeckt. Der Fluss, der sich weiter nördlich nur hier und da blicken ließ, schoss schäumend über eine Reihe kleinerer Wasserfälle, die Luft war von der Gischt kalt und feucht. Zu beiden Seiten der Wanderer wuchsen auf Vorsprüngen kräftige Krüppelkiefern, die auch die schroffen Hänge weiter oben dunkel säumten. Immer wieder sah man Spuren von Steinschlägen. Dicke Felsbrocken waren aus großer Höhe herabgestürzt, hatten Bäume geknickt und Schneisen in die unwirtliche Wildnis geschlagen.
»Was für ein heimeliges Fleckchen!«, rief Björn aus. »Hier wollen wir rasten und uns stärken, ehe wir in die Schlucht kommen und die Gegend noch trostloser wird.«
Sie rasteten bei einem geborstenen Felsen und teilten ihren Proviant miteinander. Der Händler Björn steuerte Räucherfisch und Käse bei, Hal konnte mit einem Stückchen Schinken aufwarten. Beide tranken Wein und Wasser. Der Fluss toste unterdessen so laut, dass man sich nur mit Mühe unterhalten konnte. Darum blickten die beiden, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft, schweigend in die neblige, baumbestandene Gegend.
Während der Rast ereignete sich ein kleiner Zwischenfall. Als Hal sich nach seinem Wasserschlauch reckte, öffnete sich plötzlich seine Jacke, die er nur halb zugeknöpft hatte, und ein Stück des Heldengürtels, den er immer noch quer über der Brust trug, kam zum Vorschein. Ein silbriges Blitzen, dann zog Hal den Rock hastig wieder darüber und knöpfte ihn bis unters Kinn zu. Als er verstohlen zu seinem Reisegefährten hinüberschielte, stellte er fest, dass Björn ihn aus schwarzen Äuglein neugierig musterte. Doch da krächzte in den Bäumen weiter bergab eine Krähe und Hal wandte unwillkürlich den Kopf. Als er Björn wieder ansah, war dessen Miene so gleichgültig wie zuvor, und er schien ganz mit seinem Schinken beschäftigt.
Am Nachmittag machten sie sich an den Abstieg in die Schlucht. Die steilen Felswände rückten enger
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