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Valley - Tal der Wächter

Titel: Valley - Tal der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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nahm die Hand von der Decke und schob das Messer sacht beiseite. »Wenn das kein Kneifen ist, was dann? Halt! Lauf nicht weg! Du machst es nur noch schlimmer!«
    Hal schämte sich in Grund und Boden. Olaf hatte recht. Er hatte gekniffen. Er hatte sich nicht überwinden können, seinen Onkel zu rächen, der zu Hause in seinem Grabhügel lag – er hatte den armen Brodir im Stich gelassen. Zudem hatte er die Ehre seiner Familie und Svens Andenken beschmutzt. Ein schöner Rächer, der zu feige zum Töten war! Ein schöner Held, der vor Angst schlotterte! Hal war es nicht wert, Svens Namen zu tragen, von seinem Silbergürtel ganz zu schweigen. Sein Griff lockerte sich, das Messer fiel zu Boden.
    Olaf wandte nicht einmal den Kopf. Er lag reglos in seiner Lichthülle und blickte an die Decke. »Soll ich dir auch sagen, woran es liegt?«, flüsterte er. »Ich schätze mal, es liegt daran, dass dir nicht halb so viel an deinem Onkel liegt, wie du gedacht hast.«
    »Nein!«, erwiderte Hal heiser. »Das ist nicht wahr!«
    »Warum hätte dich der Mut sonst verlassen? Du bist kein Feigling. Das habe ich neulich im Stall in deinem Blick gelesen. Und doch bringst du es nicht über dich, deinen Onkel zu rächen. Demnach hattest du ihn nicht gern.«
    »Doch! Ich hatte ihn sogar sehr gern.«
    »Nein.« Olaf hob mit matten Bewegungen den Kopf vom Kissen und stützte sich auf die Ellbogen. Er blickte, vom Licht geblendet, in die Richtung, in der er Hal vermutete. »Ich will dir auch verraten, warum nicht.Weil du ihn nämlich durchschaut hast. Dein Onkel war weder ehrenwert noch friedliebend und tugendhaft. Er war ein Säufer, ein Prahlhans, ein rauflustiger Schwachkopf, der eurer Familie nur Schande gebracht hat. Er war von Natur aus gewalttätig.«
    »Ach ja?« Spott schlich sich in Hals Ton. »Dabei warst du es doch, der...«
    »Haben dir deine Eltern etwa nie davon erzählt?« In der straffen Haut um Olafs Augen erschienen mit einem Mal Lachfältchen. »Huch! Da habe ich wohl ins Schwarze getroffen.« Er richtete sich ein bisschen höher auf. »Hal, mein Junge – was hat dir Brodir über seine Jugend erzählt? Hat nicht mal er ein paar Andeutungen gemacht? Hat nicht mal er dir erzählt, dass eure Familie seinetwegen viel Land eingebüßt hat?« Olaf wartete.Aus der Dunkelheit kam kein Laut. »Du kannst ruhig antworten«, sagte der Kranke. »Ich weiß, dass du da bist. Ich sehe deine Augen in der Ecke leuchten wie Wolfsaugen. Würdigst du mich keines Wortes? Soll ich dir Brodirs Geschichte erzählen? Du musst aber gut hinhören, das Fieber hat meine Stimme geschwächt.«
    »Ich sag dir gleich, dass ich dir kein Wort glaube.«
    »Meinetwegen. Ich glaube die meisten Geschichten auch nicht.« Olaf hatte sich aufgesetzt. Die Decke war endgültig heruntergerutscht. Er trug ein langes, im Kerzenschein weiß leuchtendes Nachthemd, seine Arme und Beine waren mager, fast ausgezehrt. »Aber du wirst feststellen, dass an dieser besonderen Geschichte etwas dran ist.« Er hievte die Beine über die Bettkante und stellte die Füße auf den Bettvorleger. »Hu, ist das kalt! Eigentlich müsste ich liegen bleiben, aber ich fühle mich trotz allem verpflichtet...«, er hustete und zog das Nachthemd um den Hals zu, »... dir endlich die Augen zu öffnen. Hat dir Brodir nicht erzählt, dass er jemanden umgebracht hat? Natürlich nicht etwa im fairen Zweikampf Mann gegen Mann, wie es zu Hakons Zeiten üblich war, auch nicht auf dem Schlachtfeld, sondern hinterlistig, verräterisch und völlig grundlos?«
    Olaf streckte den Arm aus und nahm den Weinbecher vom Tisch. Hal schlug das Herz bis zum Hals. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten und wäre verschwunden, ehe Olaf weitersprach, aber er konnte sich nicht von der Stelle rühren oder Olaf widersprechen.
    Olaf nahm einen großen Schluck und schmatzte und gurgelte dabei abstoßend. Dann stellte er den Becher wieder weg. »Nun, es dürfte dich nicht überraschen, Hal, dass dein Onkel Brodir als junger Mann viel herumgewandert ist und dabei gelegentlich auch bei anderen Häusern zu Besuch war, manchmal geschäftlich und im Auftrag seines eigenen Hauses, manchmal aber auch aus einer Laune heraus. Hierher zu uns kam er recht oft – ein drahtiger, kleiner Kerl mit dunklen Augen und immer auf der Suche nach Vergnügungen. Wir hatten ihn gut genug kennengelernt – zu gut, wenn er erst einmal etliche Becher Bier intus hatte. Du weißt ja, dass er dann immer ziemlich laut wurde.«
    »Das ist noch kein

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