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Valley - Tal der Wächter

Titel: Valley - Tal der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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angewurzelt und konnte sich nicht rühren. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn er im nächsten Augenblick durch den Boden gebrochen wäre.
    Er starrte den Liegenden an, als wäre ihm ein Trold erschienen.
    Olaf Hakonsson bewegte die Lippen und fragte in kaum verständlichem Flüsterton: »Traust dich nicht, was?«
    Hals Zunge war wie gelähmt. Er konnte nichts antworten.
    »Wieso nicht?«, flüsterte es.
    Hal schüttelte benommen den Kopf.
    Olafs Lider zuckten, die gelben Augen waren halb geschlossen wie die einer Eule. »Was hindert dich daran? Sag schon.«
    »Keine Ahnung«, rang sich Hal endlich eine Antwort ab. »Am mangelnden Hass liegt es nicht.«
    Ein leises Pfeifen entwich dem halb offenen Mund des Kranken, vielleicht lachte er. »Das will ich gern glauben! Sonst wärst du wohl kaum hier.« Das Flüstern erstarb, die Augen schlossen sich. »Sag mir, ist das Tor des Hauses verschlossen, sind die Türen zur Halle verriegelt?«
    »Ja.«
    »Haben sich alle Hakonssons in ihre Schlafzimmer zurückgezogen?«
    »Ja.«
    »Schläft hinter dieser Wand mein Bruder?«
    »Glaub schon.«
    Olafs Augen blieben geschlossen, und er raunte beinahe ehrfürchtig: »Und du bist trotzdem zu mir gelangt – wie ein schwarzäugiger Geist, der aus seinem Hügelgrab gestiegen ist. Alle Achtung! Du bist ein tapferer Junge.«
    Hal schwieg.
    »Aber eins wüsste ich gern.«
    »Nämlich?«
    »Wer zum Teufel bist du?«
    Hal glaubte, nicht recht gehört zu haben. »Wie bitte? Du erkennst mich nicht?«
    Olaf Hakonsson musterte ihn mit stumpfem Blick. »Ja, kenne ich dich denn?«
    »Aber natürlich!«
    »Tut mir leid.«
    »Aber... Du musst mich doch wiedererkennen.«
    Eine Kunstpause. »Nein.«
    »Es ist grade mal ein paar Wochen her, da hast du vor meinen Augen meinen Onkel umgebracht, und jetzt weißt du nicht mehr, wer ich bin? Ich fass es nicht.« Hal trat näher. »War das Ganze für dich so unwichtig? Hier, schau mich gut an.«
    Olaf hob mühsam die Hand. »Schon gut. Ich erinnere mich wieder an dich.«
    »Na endlich!«
    »Du bist der Neffe von diesem betrügerischen Bauern, den wir kürzlich gehängt haben. Jedenfalls dem Köperbau nach. So einen niedrigen Galgen mussten wir noch nie bauen.«
    Hal entfuhr ein undefinierbarer Laut. »Nein! Nein, ganz falsch.«
    »Hä? Alle Scheunen voller Getreide, aber dem Pachtherrn nicht seinen Anteil abliefern? Der Kerl war ein Betrüger, das konnte ja ein Blinder sehen! Wieso schleichst du dich wegen so einem Dieb hier herein? Du bist nicht einmal sein Sohn! Wenn überhaupt, muss der eigene Sohn die Ehre eines Toten rächen.«
    Das war zu viel. Hal trat wieder an das Bett und hob das Messer. »Schweig! Ich bin keiner von euren Pächtern, die ihr so schlecht behandelt, sondern ein Mann von vornehmer Herkunft.«
    »Nun übertreib mal nicht«, flüsterte es spöttisch. »Du bist ein Kind, das einen wehrlosen Kranken im Schlaf überfällt. Das ist nicht dasselbe.«
    »Ich wusste ja nicht, dass du krank bist, als ich...« Hal stockte. Um ihn drehte sich alles. Der Schein der Kerzenflamme tanzte ihm vor den Augen, die Dunkelheit schien auf ihn einzustürzen. Er hielt Olaf das Messer an die Kehle. »Anscheinend hat das Fieber deinem Gedächtnis geschadet, aber ich will dir auf die Sprünge helfen. Ich bin Hal Svensson, Arnkel Svenssons Sohn und der Neffe des tapferen Brodir, den du vor nicht einmal vier Wochen ermordet hast. Ich habe zugesehen, wie du ihn abgestochen hast, als er wehrlos vor dir stand, dabei hatte er nichts anderes verbrochen, als sich gegen euren Hochmut zu wehren.« Hal drückte die Messerspitze in die gelbliche Haut. »Du bist der übelste Mörder, den man sich denken kann, denn du hast einen Betrunkenen wegen ein paar unbedachter Worte umgebracht, und erzähl mir gefälligst nichts von ›Ehre‹, denn davon hast du nicht die leiseste Ahnung.«
    Olafs Augen waren jetzt so gut wie geschlossen, nur ein schmaler Streifen war noch zwischen den Lidern zu erkennen. Aus dem halb offenen Mund kam ein fast unhörbarer Hauch. »Ach so!«, hauchte Olaf.
    »Erkennst du mich endlich?«
    »Ja. Du hast einen langen Weg auf dich genommen, um zu guter Letzt zu kneifen, Hal Svensson.«
    Hal bleckte die Zähne und drückte fester zu. »Ich kneife nicht.«
    »Dann stoß doch zu.«
    Hal rührte sich nicht.
    »Na?«
    Hal starrte auf die Klinge, ohne sie zu sehen, auf seine weißen Knöchel und auf die wartende, entblößte Kehle. Dann überlief ein krampfhaftes Beben seinen ausgestreckten Arm.
    Olaf Hakonsson

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