Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Valley - Tal der Wächter

Titel: Valley - Tal der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
Vom Netzwerk:
Gesicht.
    Hal zuckte unwillkürlich zusammen. Es lief ihm eiskalt den Rücken herunter. Das war gewiss ein böser Geist wie aus Katlas Gruselgeschichten, ein körperloses Gespenst, ein leuchtender, schwebender Kopf...
    Er riss sich gewaltsam zusammen. Sei nicht albern! Das war Olaf! Ein Mensch, sonst nichts. Ein Kranker, den Kopf auf ein Kissen gebettet.
    Olaf hatte die Augen geschlossen, sein Mund stand halb offen. Seine spitze Nase zeigte zur Decke, die durchscheinende Haut seines Gesichts war so straff gespannt, dass es schien, als wolle sie über den Wangenknochen, dem Nasenknorpel und dem Kiefer zerreißen. Auf seinem Kinn kräuselten sich vereinzelte Barthaare.
    Hal spitzte die Ohren, konnte aber keine Atemzüge hören.
    So stand er im Dunkeln an der Tür und musterte misstrauisch das Gesicht des Schlafenden. Der Kranke rührte sich nicht.
    Hal rief sich ins Gedächtnis zurück, was im Stall des elterlichen Hofes geschehen war: Er sah wieder, wie Brodir zusammensackte, wie Olafs Arm niederstieß, er sah die kaltblütige Entschlossenheit im Gesicht des nun Schlafenden, als er seinem Onkel das Messer ins Herz stieß …
    Hal machte die Augen zu und rieb sich mit der freien Hand die Lider.
    Jetzt war sein Todfeind endlich in Reichweite, und Hal hatte erwartet, dass seine Wut wieder aufflammen und ihm dabei helfen würde, die Tat zu begehen.Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass ihm plötzlich speiübel wurde. Seine Knie zitterten und er fühlte sich wieder wie damals im Stall: hilflos, wie gelähmt, kurz vor dem Erbrechen.
    Das war jetzt völlig fehl am Platz.
    Er atmete leise aus und verfluchte sich im Namen Svens.
    Er brauchte nur ein paar Schritte zu tun, einmal zuzustoßen, und sein selbst erteilter Auftrag wäre erfüllt. Sein Onkel wäre gerächt, Brodirs Mörder tot. Einfacher ging es nicht. Er musste sich bloß dazu aufraffen .
    Schlurfend wie ein Schlafwandler ging Hal auf den Lichtkreis zu. Das lange Messer in seiner Hand schien plötzlich doppelt so schwer zu sein. Er konnte es kaum halten.
    Er kam an einer offenen Wäschetruhe vorbei, aus der kostbare Leintücher quollen, dann an einem Stuhl mit niedriger, mit einem Wellenmuster verzierten Lehne, an einem Tisch mit Weinbecher, Brot und Fleisch darauf, an einem Kamin, in dessen kalter Asche ein Schürhaken lag.
    Schneller als erwartet stand er neben dem Bett.
    Olaf Hakonssons schmale Gestalt lag unter einer dicken, halb heruntergerutschten Felldecke. Seine Arme lagen ausgestreckt auf der Decke, die Handflächen waren wie in einer flehenden Gebärde nach oben gekehrt. Jetzt sah Hal an der sehnigen Kehle die Adern pochen, und er sah auch, dass sich die Brust unter der Decke kaum merklich hob und senkte.
    Ein Stich würde genügen. Aber wohin – in die Kehle oder in die Brust? Ins Herz wäre passend, denn dort hatte Olaf Brodir die tödliche Wunde beigebracht. Aber in die Kehle war einfacher... Hal hatte einen ganz trockenen Mund. Er fühlte sich seltsam schwach, vor seinen Augen drehte sich alles. Er musste dringend etwas essen, musste erst wieder zu Kräften kommen, ehe er das hier zu Ende bringen konnte.Vielleicht sollte er vorher noch einmal in die Halle hinuntergehen, sich stärken und erst wiederkommen, wenn …
    Hal kniff ärgerlich die Lippen zusammen. Hör auf, die Sache hinauszuzögern! Der richtige Augenblick war jetzt! Eine Gelegenheit wie diese würde sich ihm nie wieder bieten.
    Hal senkte das Messer, packte den Griff mit beiden Händen, trat so dicht an das Bett heran, dass er sich darüberbeugen konnte, und holte über der bloß liegenden Kehle aus.
    Er holte tief Luft, hielt inne …
    Wie aus dem Nichts stieg ein Bild vor ihm auf. Er war wieder in der Schlucht und sah den Händler Björn ausholen, um ihn, Hal, im Schlaf zu erstechen. Wieder spürte er die panische Angst, die er gehabt hatte, und sie glich der panischen Angst, die er jetzt empfand, da er selbst kurz davorstand, einen tödlichen Stich auszuführen, ja es war ein und dieselbe Angst.
    Hals Arme zitterten, beinahe hätte er das Messer fallen lassen. Tränen stiegen ihm in die Augen und machten ihn blind. Er verkniff es sich, die Nase hochzuziehen, trat schwankend einen Schritt zurück, ließ die Arme sinken und wischte sich, von Elend überwältigt, mit dem Ärmel über das Gesicht.
    Als er wieder zum Bett hinüberschaute, stellte er fest, dass Olaf Hakonsson die Augen aufgemacht hatte und ihn ansah.
    Als läge eine Zentnerlast auf Hals Schultern, stand er da wie

Weitere Kostenlose Bücher